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Die Comics gibt es nur in der Taschenbuchausgabe

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2.6 Identiflationionär

Lesedauer: 4 Minuten

Identifikation wird seit dem Beginn der industriellen Revolution im Ende des vorletzten Jahrhundert gefördert, absichtlich verstärkt und als unumgänglich dargestellt. 

Wohin gehörst du? Wo ist dein Platz in der Welt? Wer gehört zu dir? Was gehört zu dir? Wer willst du sein? Wen willst du darstellen? Was gehört zu dem Bild[4] von dir dazu?

Ursprünglich war die Anhaftung an unsere Familie und unseren Stamm überlebenswichtig. Wir mussten wissen, zu wem und wohin wir gehörten. Gemeinsam traten wir der lebensgefährlichen Welt da draußen entgegen. Nur so konnten wir überleben. Als sich die Menschen immer mehr ausbreiteten und die Welt besiedelten, ging es darum, wer welchen Grund und Boden bekommt, auf dem er sesshaft werden konnte und der ihm die Lebensgrundlage schenkte. Damit trat die Sucht nach Macht und Land in unser Leben. Wer das meiste fruchtbare Land bewirtschaftet, der führt das beste Leben. Es ging nicht mehr nur darum, gegen wilde Tiere zu bestehen, die uns fressen wollten. Mit einem Mal ging der Kampf zwischen den Stämmen los und damit das WIR gegen UNS selbst. Je mehr Werkzeuge und Waffen du besitzt, desto besser kannst du dich verteidigen und das Land bewirtschaften. Das Rennen ums Überleben war vorbei und es begann ein neues Kapitel der Entwicklung: Wer lebte besser, wer kontrollierte die meisten Menschen?

Mit der Industrialisierung war es möglich, mehr Güter zu produzieren. Es konnte mehr verkauft werden, also brauchte es auch mehr Käufer. In einer konsumorientierten Welt  ist es für die Firmen lebenswichtig, dass sich die Kunden mit ihnen identifizieren. Denn ein Kunde, der dein Fan ist, kauft immer nur bei dir. Er ist eine sichere Einnahmequelle. Irgendwann kamen pfiffige Wirtschaftsmenschen darauf, dass es vorteilhaft für Produzenten ist, wenn sie feste Bevölkerungsgruppen ansprechen können. In der Werbung der 1920er bis 1970er ist sehr gut nachzuvollziehen, wie zuerst die Familienväter, dann die Hausfrauen, dann die Raucher, Auto- und Motorradfahrer, die Alkoholkonsumenten und schließlich die Kinder als Gruppen entdeckt wurden. Zielgruppen nannte man sie, denn sie waren nichts anderes als Pappziele, auf die man die Werbung abschoss. Zigaretten rauchen wurde durch Werbung populär und stark verbreitet, denn das Bild des erfolgreichen Rauchers wurde erzeugt. Wer sich Zigaretten leisten kann, hat es in der Gesellschaft geschafft. Filmschauspieler und Musiker machten es vor. So wurden immer mehr Identifikationen geschaffen. Die als rebellische Rock’n’Roller startende Bewegung, welche für persönliche Freiheit und gegen die verstaubten Ansichten der Mittelschicht kämpfte, wurde von der Industrie mit groß angelegten Werbekampagnen und Kinofilmen zu einer Zielgruppe umgeformt. Die ikonischen Werte wurden aufgegriffen und mit Produkten verknüpft. Wachs für die Haartolle, Spray zur Bändigung die langen Haare der Frauen. Der Petticoat und Jeans mit Lederjacke waren der Ausdruck ihrer Generation. Aus ihr wuchsen dann die wiederum rebellierenden Rocker hervor. Denen konnte man besonders gut Lederstiefel, nietenbesetzte Kleidung, Motorräder samt Zubehör, Alkohol und bestimmte Musik verkaufen.

Mit den Generationen spalteten sich die Gruppen immer kleinteiliger auf. Durch den sozialen und technischen Fortschritt kamen neue hinzu, zum Beispiel die arbeitenden Mütter, die nach Erfolg strebenden Businessfrauen, alleinerziehende Elternteile, Computeranwender, Vieltelefonierer, Internetnutzer und so weiter. Die Möglichkeiten, einer bestimmten Gruppe anzuhaften, explodierten wie bei einer Inflation – Identifikation inflationär.

Die Unternehmen verstanden es immer besser, die Menschen nicht nur an ihre Firma, sondern sogar an einzelne Produktmarken zu binden. Mittlerweile sind die Firmenkomplexe so undurchsichtig, dass man häufig gar nicht mehr sagen kann, welche Marke zu welchem Unternehmen gehört. Marken wurden zu festen Bestandteilen der Sprache. Das Tempo, das iPhone, das Aspirin, die Coke, whatsappen, skypen, zoomen, sind fest verankerte Begriffe. In Deutschland werden heiße Debatten um Automarken und Biersorten geführt, die sich oft nur durch persönlichen Geschmack unterscheiden. So ist es zum Beispiel ein offenes Geheimnis, dass alle Großbrauereien einen massenkompatiblen Geschmack erzielen wollen, um möglichst wenig Kunden zu verprellen. Die meisten Biersorten schmecken bis auf Nuancen gleich. Radio- und Fernsehsender richten ihr Programm so aus, dass sie die Zuhörerinnen und Zuschauer nur gerade so viel nerven, dass sie nicht umschalten. Es geht schon lange nicht mehr primär darum, sich voneinander abzugrenzen, sondern mehr vom Gleichen anzubieten. Zum Beispiel hat Apple es geschafft, ganz normale Geräte, die es vorher schon von anderen Herstellern in ähnlicher Form gab, als besonders hochwertig und einzigartig herauszustellen. Sie bauen wirklich robuste und zuverlässige Geräte, verkaufen jedoch einen ganzen Lifestyle dazu. Wenn du unser Gerät kaufst, dann wirst auch du erfolgreich und in der Gesellschaft hoch angesehen werden. Mit unseren Geräten kannst du besonders glänzen und auffallen. So hat es eine Firma, die ausschließlich hochpreisige Ware anbietet zum absoluten Marktführer geschafft, obwohl sie nicht mal die meiste Anzahl an Geräten verkauft.

Was ich dir mit all diesen Beispielen verdeutlichen möchte, ist der Grund, warum alle Menschen mittlerweile so starke Identifikationen mit sich herumschleppen. Die Konzerne und Konsumwirtschaft haben dafür gesorgt, dass du dich einer Gruppe möglichst verbunden fühlst und dich von anderen klar absetzt, damit sie dich besser mit ihrer Werbung anvisieren können. Sie wollen dir lediglich ihre Produkte und ihre Dienste verkaufen. Genau diese Identifikationen wirken wie ein Kleber, der dich an einen Lebensstil bindet, welcher dir zu großen Teilen überhaupt nicht entspricht. Dir wird es leicht gemacht, in eine bestimmte Gruppe hineinzurutschen. Befindest du dich jedoch zwischen den Gruppen und lebst deine eigene Zusammenstellung von dem, was dir entspricht, musst du dich um alles selbst kümmern. Dann wird es für dich anstrengender. Jeder, der besondere Anforderungen an seine Ernährung stellt oder körperlichen oder gesundheitlichen Einschränkungen unterliegt und somit nicht in eine Zielgruppe passt, wird das nachvollziehen können. Wenn du gut innerhalb deiner Zielgruppe funktionierst, wirst du mit Informationen und bequemen Möglichkeiten der Lebensführung überschüttet. Außerhalb dessen musst du dich anstrengen. 

Der Horror für die Weltwirtschaft wären sich selbst bewusste und bewusst lebende Menschen, die keine Zielgruppen bilden, sondern unabhängig von Identifikationen einfach ausschließlich das kaufen und konsumieren, was sie wirklich brauchen und was ihnen entspricht. Solche Menschen kann man nicht mehr kontrollieren, manipulieren und gezielt ansprechen. Es wäre ja vollkommen unklar, wie beim Lottospiel, welches Smartphone, welches Auto oder welche Käsesorte du beim nächsten Mal wählst.

Außerdem engen dich Gruppen umso mehr ein, desto tiefer die Identifikationsmerkmale gehen.