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Die Comics gibt es nur in der Taschenbuchausgabe

   Inhalt

2.2 Das Leben ist (kein) Spiel

Lesedauer: 7 Minuten

Alle Religionen und die meisten mystischen und spirituellen Glaubenssysteme (auch die ›freien Spirituellen‹ folgen einem System) arbeiten mit der Vorstellung, dass die Seele zwar sehr robust ist und ewig existiert, jedoch Verletzungen davontragen kann. Einige sind angeblich so schwer, dass sie unheilbar sind und die Seelenstruktur für immer verändern oder Seelen sogar zersplittern lassen. Zuerst einmal verändert jede Erfahrung in jedem Moment die Struktur der Seele. Zum Zweiten handelt es sich um einen Irrglauben, dass die Seele verletzbar ist. Körper und Verstand sind es natürlich und jede seelische Verletzung findet auf einer der beiden oder auf beiden Ebenen gleichzeitig statt. Etliche davon sind auch nicht heilbar. Jedoch ist jede Verletzung spätestens nach deinem Ableben nicht mehr existent. Die Seele nimmt nur die Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse aus deiner körperlichen Existenz mit. Sonst nichts. 

In den vergangenen Jahrtausenden konnte sich niemand vorstellen, dass Körper, Verstand und Seele keine Einheit sind. Deswegen müssen alle drei Ebenen gleich funktionieren und somit auch verwundbar sein. Die Menschen damals gingen davon aus, dass sich die Verletzungen wechselseitig bedingen, bis jemand herausfand, dass Verletzungen des Körpers nicht unbedingt Verletzungen des Verstands hervorrufen müssen. 

Die Theorie, dass die Seele verwundbar ist und geheilt werden muss, spielte außerdem schon immer den machtbesessenen Seelenheilverkäufern der Religionen und dogmatischen Glaubenssysteme in die Hände (damit meine ich genau die machtbesessenen Einzelpersonen und nicht die ganzen Religionen oder Glaubenssysteme). Sie konnten ihre Gläubigen an einer Stelle packen, auf den sie nicht mit dem Finger zeigen und sagen konnten: »Schau mal, da tuts weh!« Die Gläubigen mussten dem Priester vertrauen, der ihnen weismachte, dass die Seele beschädigt wird, wenn man dies und jenes tut oder erlebt. Sie mussten den Priestern glauben, wenn diese ihre Rituale aufführten und behaupteten, die Seele werde heilen oder sei nun wieder intakt. Außerdem konnte man auf diese Weise die Gläubigen gut in Angst, Mangel und Leid halten und damit hervorragend kontrollieren und Macht ausüben. Solange die Gläubigen dachten, dass bestimmte Handlungen sich auf die seelische Gesundheit auswirkten, blieben sie fügsam. In allen institutionellen Glaubenssystemen mit Hierarchien geht es einige Zeit nach ihrer Gründung immer darum, möglichst große Verbreitung  zu finden, um die eigenen Ansichten an möglichst viele Menschen vermitteln zu können. Dies wurde und wird oft mit aggressiven Methoden erreicht. Auf der einen Seite durch Glaubenskriege, auf der anderen durch Werbung und dem Versuch, berühmte und geachtete Menschen in öffentlichen Positionen für sich zu gewinnen. Außerdem setzen sich immer Machthungrige und Kontrollsüchtige an die Spitzen jeder größeren Institution. Das liegt in der bisherigen Natur des Menschen. Die Machthungrigen verdrängen diejenigen, die nicht bereit sind, jeden Preis zu zahlen, um auf die von ihnen angestrebte Position zu gelangen. Auch die Machthungrigen tun immer nur ihr Bestes. Ihr Verstand denkt, dass alles besser für sich selbst und auch für alle anderen wird, sobald sie sich in der entsprechenden Position befinden. Gerade sie führen uns das Konzept vor Augen, an dem wir alle teilnehmen.

Seit einigen Jahrzehnten existieren jedoch andere Systeme, die uns erklären können, wie das Seelenleben aussieht. Vielleicht entstammst du einer Generation, die bereits mit Computerspielen aufgewachsen ist. Sollte das nicht der Fall sein, empfehle ich dir, dich einmal einem zu widmen, in dem du in ein alternatives Ego schlüpfen und aus dessen Sicht Abenteuer erleben kannst. Am besten eins, in dem du ab und zu auch mal ›sterben‹ und dann wieder von vorne anfangen kannst. Ich beschreibe dir kurz, wie sich das anfühlt.

Stell dir vor du sitzt bequem in einem Sessel und trägst einen Helm mit 3D-Brille, echtem Raumklang und einen Ganzkörpergefühlsanzug. Die Geräte lassen dich alles aus der Perspektive der Spielfigur sehen, erleben und mitfühlen. Alle sensorischen Eindrücke deiner 5 Sinne werden vollkommen echt übertragen. Sogar die inneren Welten des Charakters gelangen eins zu eins zu dir. Du erlebst die spannende, packende, emotionale und dramatische Geschichte deines Protagonisten mit. Natürlich hast du dir das Spiel wegen der Beschreibung der Herausforderungen herausgesucht. Du liest zuerst das beiliegende Handbuch. In dem Buch steht ganz genau, was geschehen wird und wie sich alles auflöst. Du willst das alles jedoch selbst erleben, denn nur den Text zu lesen und das Buch zu kennen, ist nicht dasselbe, wie die eigene Erfahrung und das Miterleben mit allen Sinnen – so mitten drin zu sein. 

Der Körperanzug überträgt jedes Gefühl, das deine Haut und deine Muskeln übertragen können. Allerdings wirst du durch ihn nicht verletzt. Wird deine Spielfigur geboxt, nimmst du den Schlag zwar wahr, jedoch nur ganz leicht, damit du nachvollziehen kannst, wie es sich anfühlt. Auch innere Schmerzen fühlst du, doch sie hinterlassen keine Spuren und du bleibst gesund, egal was im Spiel geschieht. Du weißt, dass dieses Spiel nur einen Bruchteil deiner Lebenszeit in Anspruch nimmt und du immer in Sicherheit bist. Außerdem spielen alle deine Freund*innen, Verwandten und liebenden Unterstützer*innen in dem Spiel mit. Manche spielen auf deiner Seite und andere stellen sich als Gegner zur Verfügung. Nachdem du das Spiel gestartet hast, erlebst du die Schwangerschaft und Geburt mit. Du lernst alles, was ein Mensch in der Kindheit lernt, und bist in alle Entscheidungen deiner Figur eingebunden. In jeder Sekunde kannst du dich entscheiden, die komplette Geschichte umzuschreiben, in dem du einfach etwas tust, das nicht in dem Buch des Spiels stand. Das Spiel passt die Gegebenheiten für dich an und alle, die mitspielen, verhalten sich entsprechend deinem Willen. Du hast jedoch auch ein Auge drauf, dass du sie in ihren Vorhaben im Spiel unterstützt. Du bist jederzeit über eine Direktleitung im Spiel mit ihnen verbunden. Miteinander kommuniziert ihr auf einer Ebene, die die Spielfiguren nicht mitbekommen. Sobald du eine Entscheidung triffst, kommt es der Figur wie Vorsehung vor. Doch manchmal, an bestimmten Stellen, entscheidet sich die Figur ebenso zu einer Handlung, die so nicht vorgesehen war. Du reagierst natürlich in deinem besten Interesse und dem besten Interesse deiner Spielfigur. Du kennst alle Möglichkeiten, wie das Spiel ab hier hätte ablaufen können. Die Figur hingegen denkt, es sei alles vorbestimmt. Ihr habt jede Menge Spaß miteinander, erlebt unglaubliche Abenteuer und begegnet vielen anderen Wesen, die euch und eure Spielfigur beeinflussen. Du wirst emotional und verstandesmäßig bis ans Äußerste gefordert. Irgendwann stirbt deine Spielfigur. Ihre Materie wandelt sich und du nimmst alle Gedanken, Träume, Erfahrungen, Erlebnisse mit dir, da du sie ja sowieso während des Spielens gesammelt hast. Das Spiel hat dir unheimlich viel Spaß gemacht. Und dir ist bewusst, dass du mit einer anderen Spielfigur im selben Spiel noch ganz andere Erlebnisse haben kannst. Da du das Spiel wirklich gerne magst, fängst du gleich nochmal von vorn an und erstellst dir eine neue Spielfigur. Nun hast du ja eine ungefähre Ahnung, wie alles abläuft, und kannst deine und die Reaktionen der Figur besser einschätzen. Du vermeidest Fehler, die du in der letzten Spielsitzung gemacht hast. Dafür begehst du ganz neue. Andere Spieler, die auch gerade im Spiel sind, stehen dir wieder zur Verfügung und ihr erlebt erneut unglaublich spannende Abenteuer. Du gehst Risiken ein, die absolut irrsinnig sind, aber du weißt, dass nur die Spielfigur leidet und das auch nur kurze Zeit. Manchmal beginnst du nur ein neues Spiel, um zu auszuprobieren, auf welche Weisen die Spielfigur ums Leben kommen kann und welche Krankheiten und Unfälle es so gibt, allein aus dem Antrieb sie einmal zu erleben. Natürlich musst du immer zu der Stelle hin spielen, wo diese Erfahrung möglich ist. Da außerhalb des Spiels praktisch keine Zeit vergeht, macht dir das nichts aus, denn jedes Mal verläuft das Spiel anders und jedes Mal ist es spannend. Irgendwann hast du alle Variationen des Spiels erfahren und erlebt. Du stellst fest, dass es nichts mehr gibt, das dich noch fasziniert. Also holst du dir das nächste Spiel und beginnst wieder von vorn.

So in etwa kannst du dir das Leben deiner Seele vorstellen. Sie ist nicht sadistisch oder masochistisch oder irgendetwas anderes Böses. Sie ist neugierig und begierig darauf, das Leben in all seinen Varianten auszukosten. Sie möchte ausprobieren, was funktioniert und was nicht. Sie ist immer voller Liebe zur dir und zu allen anderen Liebewesen. Sie ist immer mit allem verbunden, was existiert. Und sie spielt dieses Spiel schon seit ein oder zwei Ewigkeiten. Sie ist also ein Superprofispieler. Es gibt nichts anderes im gesamten Universum, das sie lieber tun würde, als du zu sein und deine Erfahrungen mit dir zu teilen. Und du bist ein Teil von ihr. Ihr seid untrennbar miteinander verbunden. Das Einzige, was euch trennen kann ist der starke Trennungsgedanke, der seit Jahrhunderten und Jahrtausenden von den sogenannten Zivilisationen gelebt wird. Im Grunde genommen gibt es nur ein großes WIR und UNS. Wir alle sitzen in demselben Boot, das uns durch dieses Universum trägt und arbeiten fleißig an seinem Untergang, indem wir jede einzelne Planke zerbrechen und untereinander aufteilen. Schrecklicher Gedanke, oder?

Natürlich ist das Leben (insbesondere deins) kein Spiel, sondern ernst. Es geht um Leben und Tod. Es geht um dein und das Wohlergehen deiner Lieben. Es geht darum, dass du arbeitest, lebst, leidest, Glück und Freude empfindest, Kinder zeugst, Häuser baust, Bäume pflanzt und all das auch tust, was Menschen so tun. Es geht darum, dass du für dich und deine Familie einen sicheren Platz in der Welt findest und möglichst lange im Spiel – Pardon – am Leben bleibst. Die Sache ist sozusagen todernst und wenn du dich nicht darum kümmerst, wer sollte es dann tun, nicht wahr?

Es geht nicht darum, das ganze Leben mit all seinen Facetten zu genießen, und einfach das Beste für dich UND alle anderen herauszuholen. So eine Macht besitzt du gar nicht. Nein? Nicht?

Klar, wenn es dir schlecht geht, du krank, arm, arbeitslos, unterbezahlt, gestresst, enttäuscht, depressiv, traurig, gedemütigt, nicht wertgeschätzt und unbeachtet bist, kannst du das nicht genießen. Wie soll das auch gehen? Das ist gar nicht möglich und auch nicht menschlich. So lange es dir gut geht, du glücklich und in Freude lebst, du genug von allem hast und deine Leistungen anerkannt werden, du also auf der Sonnenseite des Lebens stehst, kannst du alles genießen. 

Der wirklich Glückliche jedoch ist der, der auch das Unglück als zum Glück gehörig erkennt und es annimmt und erlebt und so zu schätzen weiß, dass alles immer genau richtig ist.

 Buddha Gautamas letzte Worte, die der Welt übermittelt wurden, stimmen mich zuversichtlich: ›Tu dein Bestes.‹ Das tun wir, immer und jederzeit.