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Die Comics gibt es nur in der Taschenbuchausgabe

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2.5 Identifiktional

Lesedauer: 6 Minuten

»Weisen Sie sich bitte aus.« Diesen Satz hast du bestimmt schon einmal gehört, entweder am Flughafen, an einer Grenze oder in einem Film. Der Mensch, der diesen Satz sagt, möchte wissen, wer du bist. Er verlangt nach deiner Identifikation. 

Sobald du geboren bist, fängt es schon damit an, dass andere dich identifizieren. Deine Eltern geben dir deinen Namen und die Hebamme hält den Zeitpunkt deiner Geburt fest. In deinem Ausweisdokument stehen mindestens dein aktueller Wohnort, deine Größe und unveränderliche Merkmale wie Augen-, Haut- und Haarfarbe. 

Du selbst bist zunächst frei von Identifikation. 

In den ersten Monaten deines Lebens hast du nicht einmal eine Vorstellung davon, dass du jemand bist. Sobald du deine Umgebung verstehen kannst, wirst du von deiner Familie mit deren Identifikationen vollgestopft. Du nimmst erst wahr, dass du einen Namen besitzt, auf den du hören sollst. Dann lernst du, dass dein Spielzeug und dein Zimmer dir gehören. Du lernst Familie, Verwandte, Freund*innen und Fremde einzuordnen und die verschiedenen Arten von WIR und DIE kennen. Was dir nahestehende Menschen erzählen, nimmst du als DEINS an, denn du fühlst dich noch als Teil von ihnen. Erst mit etwa zehn Jahren ist dein Gehirn weit genug entwickelt, um zu bemerken, dass du kein Teil deiner Mutter und deines Vaters bist, sondern ein eigenständiges Wesen. Der Abnabelungsprozess beginnt. In weiten Teilen der Welt wird dir in der Kindheit bereits vorgelebt, wie wichtig es ist, Dinge zu besitzen und Gegenständen anzuhaften. Denn ein großer Teil der Identifikation besteht aus der Anhaftung. Du klebst gedanklich regelrecht an Menschen, Tieren und Gegenständen. Die meisten Menschen definieren sich über die Kleidung und all die Sachen, die sie besitzen. Sie grenzen sich von anderen durch ihre Hobbys, ihren Musik-, Film-, Buch- und Spielgeschmack ab. Sie folgen den Ritualen der Gruppen, denen sie sich zugehörig fühlen. Je stärker deine Anhaftung ist, desto strikter hältst du dich an  die Regeln, Rituale und Handlungsvorschriften der von dir auserwählten Gruppe. Schließlich willst du ganz und gar zu ihnen gehören. Dabei machst du auch vor schädlichen Handlungen nicht halt – Straftaten, Alkohol-, Tabak-, Drogenkonsum, Selbstverletzung, Verletzung von anderen – Hauptsache du gehörst dazu. 

Der zentrale Gedanke hinter all dem ist das ICH BIN. 

ICH BIN Hipster, Rocker, Metalfan, Nerd, Popkulturanhänger, Partygänger, Künstler, Bücherwurm, Skater, Sportfan, Kunstverständiger, Gangster, Krankenschwester, Doktorin, Reisende, Firmenchefin, Millionärin, Sportlerin.

Egal was hinter dem ICH BIN folgt, du richtest dein ganzes Leben danach aus. Du wählst deine Kleidung, deine Geräte, deine Wohnwelt, deine Umgebung, deine Freund*innen und auch deine Partner*innen, also deinen Lebensstil, nach dem Status aus, dem du dich verbunden fühlst. Dabei ist es egal, in welchem sozialen Umfeld du geboren wirst. Es gibt immer Menschen, die das Umfeld verlassen und in ein anderes wechseln. Ich meine den Menschen, der in sozial schwachem Umfeld geboren wird und durch Arbeit und Glück zum Millionär wird. Oder auch den Menschen, der in einem sozial hochstehenden Umfeld geboren wird und abrutscht oder sogar dem Leben in Wohlstand bewusst den Rücken kehrt. Alles hängt von dem Bild ab, das du von dir selbst hast und dem du anhaftest. Durch das Gesetz der Anziehungskraft (siehe Teil 3 Lebenslenker) kommt immer mehr von dem, das du lebst zu dir. Je stärker deine Identifikation mit etwas ist, desto mehr ziehst du davon in dein Leben. Deine Identifikation schreibt dir deine Gedanken und Handlungsweisen praktisch vor, so lange du deinen Weg unbewusst gehst. Und auch wenn du bewusst deine Identifikationen veränderst, ist es sehr wahrscheinlich, dass du das aus dem Verstandesdenken heraus tust. Das ist die grundlegende Vorgehensweise von Coaches und Trainern. Sie wollen deine Identifikationen verändern. Sie fordern dich auf, eine Vision von dem Menschen zu entwickeln, der du sein willst und dann versuchen sie deine Identifikation auf dieses neue Bild umzuprogrammieren. Du sollst Gedanken und Handlungen üben, damit du langsam in die neue Rolle hineinwächst. Sie wissen, dass du dein Gehirn und deine Emotionen entsprechend umerziehen kannst. Sobald du anfängst, anders zu denken und zu handeln, verändert sich automatisch dein ganzes Leben und deine Umgebung. Doch was hast du dadurch verändert? Lediglich deine Identifikation mit etwas Neuem. So geschieht es seit einigen Jahren mit den Menschen, die das Work-and-Travel-Life Konzept leben. Sie verdienen ihr Geld unterwegs, während sie durch die Welt reisen und diese entdecken. Sie kamen mir zunächst wie Individualisten vor. Je mehr ich mich mit dieser Art zu leben beschäftigte, desto mehr fiel mir auf, dass auch viele dieser Menschen nicht zufriedener oder glücklicher waren, da sie einfach die Tretmühle wechselten. Sie taten alle dasselbe, reisten zu denselben – in der Gemeinschaft populären – Zielen und taten dort, was alle anderen auch taten. Natürlich entspricht dieses Leben dem einen oder anderen Menschen. Jedoch haben die meisten die Vorstellung von sich als reisendem Arbeiter mit ihrem Verstand hergestellt. Sie haben sich gedanklich und emotional darauf fixiert und haften dem Modell an. Den inneren Frieden und die innere Freiheit finden die meisten auch hier nicht. Genauso geht es Menschen, die aus armen Verhältnissen stammen und unbedingt reich werden wollen. Oft stellen sie fest, dass der materielle Reichtum nichts mit dem inneren Reichtum zu tun hat.

Jegliche Identifikation hindert dich daran, dein wahres ICH und das Leben zu finden, das dir wirklich entspricht und das dich ganz und gar erfüllt.

Dabei ist jegliche Identifikation rein fiktional. Du denkst dir aus oder lässt andere für dich denken, wie du sein willst. Im Grunde genommen kannst du dich in jedem Moment deines Lebens entscheiden, andere Identifikationen anzunehmen und die Gruppe zu wechseln,  der du angehörst. Jede Anhaftung bildest du dir nur ein. Nimm einmal eine Automarke. Du bist von der einen absolut überzeugt, weil dir in dem Fahrzeug nie etwas Unerwartetes zugestoßen ist. Dann willst du ein neues haben und greifst automatisch wieder zu der Marke. Eines Tages lässt dich das Auto im Stich und vielleicht ein anderes derselben Marke später noch einmal. Du verlierst das Vertrauen in die Marke und suchst dir eine neue, der du dein Vertrauen schenkst. Denn darum geht es bei Identifikationen. Du suchst dir Menschen und Dinge, denen du immer vertrauen kannst. Du bist so erzogen, dass du bestimmten Menschen und Dingen automatisch mehr Vertrauen entgegenbringst, die so ähnlich sind, wie du dich selbst siehst. Menschen wie du oder Dinge, von denen du weiß, dass Menschen wie du sie mögen, sind die besten für dich. 

Sobald du nun die Identifikation mit der einen Gruppe unterlässt und dich mit einer anderen Gruppe identifizierst, nimmst du gleichzeitig die typischen Eigenschaften, Angewohnheiten, Verhaltensweisen und Denkmuster an, die in dieser Gruppe herrschen. Du passt dich an. Du nutzt die Dinge, die in dieser Gruppe genutzt werden, damit jeder sofort sehen kann, dass du dieser Gruppe angehörst. 

Ein Nachteil dabei ist, dass Menschen dich so einordnen, wie sie den Rest der Gruppe beurteilen. Sie lernen dich gar nicht richtig kennen, da sie bestimmte Denk- und Handlungsweisen von dir erwarten, sobald sie die Insignien (Erkennungszeichen) deiner Gruppe sehen. Du wirst sofort in eine Schublade gesteckt. Deswegen lernst du auch immer wieder dieselbe Art von Menschen kennen, suchst dir immer wieder denselben Typ Mensch für eine Partnerschaft aus und dein*e Partner*in sucht immer wieder Menschen wie dich aus. Du beschränkst dich selbst auf Gedanken und Verhaltensweisen innerhalb der Grenzen, die dir die Gruppenzugehörigkeit steckt. Das ändert sich erst, wenn du selbst dich und deine Identifikationen veränderst.

Ich persönlich bin vielseitig orientiert und habe mich noch nie einer Gruppe so stark zugehörig gefühlt, dass ich ihre Kleidung, Erkennungszeichen oder Geräte ganz geradlinig genutzt hätte. Deshalb sind Menschen immer wieder überrascht, wenn sie mich kennenlernen. Sobald Menschen aus bestimmten Gruppen  meine Zugehörigkeit zu ihrer Gruppe erahnen, erwarten sie, dass ich dasselbe Gedankengut und Verhalten lebe. Zwar kenne ich mich in ihrer Gruppe aus, jedoch führe ich den dazugehörigen Lebensstil kein bisschen. Also entspreche ich nicht ihren Erwartungen. Meine Handlungen stellen sich für sie erstmal seltsam und unvorhersehbar dar. Das erschüttert ihr Vertrauen in mich zunächst.

Deswegen kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass alle Identifikationen lediglich eine Einbildung deines Verstands sind und dich davon abhalten, die für dich ideale Mischung aus Gedanken, Emotionen, Handlungen und Gegenständen zu nutzen.

Betrüger und Schauspieler machen sich genau diese Identifikationen zu eigen, um bestimmte Erwartungen zu erzeugen. Mit wenigen Mitteln täuschen sie uns und stellen ganz jemand anderen dar, was wir ihnen mit unseren vorgefertigten Ansichten erleichtern. Betrüger wollen damit unser Vertrauen erschleichen und uns um Geld oder Wertsachen bringen. Schauspieler wollen uns damit unterhalten und uns tiefer in ihre Aufführung ziehen. Nicht umsonst gibt es so viele Stereotypen, also typische Dinge, die zu bestimmten Gruppen gehören. Sie ermöglichen eine schnellere Kommunikation und erzeugen mit wenigen Begriffen bestimmte Bilder bei allen Beteiligten. Hinter ihrem wahren Kern verbergen sich immer dieselben Gewohnheiten, Handlungen oder benutzten Dinge, die für eine Gruppe auf jeden Fall zu ihrem Selbstbild gehören.

Vielleicht probierst du einmal aus, dich als jemand anderes zu sehen. Stell dir vor, wie es als erfolgreicher Musiker wäre oder als erfolgreiche Schauspielerin. Stell dir vor, wie es wäre, auf einer traumhaften Insel mit immer tollem Wetter zu leben. Das fällt dir gar nicht so schwer, oder? Du hast die entsprechenden Identifikationen bereits parat? Was macht einen erfolgreichen Musiker aus, was eine berühmte Schauspielerin? Wie fühlt sich so ein Leben auf dieser Insel an? Der Wechsel der Identifikationen geht extrem schnell und leicht. Fängst du nun auch noch an, entsprechende Handlungen zu vollführen und dich auf den Weg zu deinem Ziel zu begeben, hast du deine bisherige Gruppe schon so gut wie verlassen und lernst garantiert schnell Musiker, Schauspielerinnen oder Inselbewohner kennen.

Identifikation ist nur fiktional und hält dich in bestimmten Mustern und Tretmühlen fest.