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4.3 Erinnerung, du lügst!

Lesedauer: 6 Minuten

Deine Erinnerungen, die du bewusst abrufen kannst, belügen dich.

Schauen wir uns dazu einmal an, wie Erinnerungen funktionieren. Unser Gehirn ist darauf gepolt zu überleben. Auch in unserer modernen Zeit. Wir neigen dazu zu denken, dass wir Lebenden mittlerweile aus der evolutionären Entwicklung ausgestiegen wären, weil wir ja zwischen Geburt und Tod nicht wirklich viele unerwartete, evolutionäre Entwicklungen durchlaufen. Dir werden hoffentlich keine Kiemen wachsen und du entwickelst innerhalb deines Lebens keine zwei weiteren Beine. So sehen wir Evolution nämlich. Als generationsübergreifende Entwicklung, die früher mal passiert ist. Aber dieses früher ist heute immer noch aktuell. Alle Menschen, die evolutionäres Verhalten für eine Ausrede für bestimmte Verhaltensweisen halten, sollten sich selbst besser beobachten. Jede Entwicklung in deinem Leben findet sprunghaft statt, wie es die Evolutionstheorie Darwins beschreibt. Dein eigener Wachstum und Zerfall findet nicht geradlinig statt, sondern immer in Sprüngen.

Bestimmte Mechanismen können wir im Normalfall nicht steuern, da dies Bereiche unseres Gehirns erledigen, zu denen wir keinen bewussten Zugang haben. Das Atmen einzustellen ist ohne Zuhilfenahme von derber Gewalt für einen gesunden Menschen kaum möglich, da der Atemreflex nicht überbrückt werden kann und die körperlichen Auswirkungen der fehlenden Luft den Überlebensmechanismus aktivieren. Das Unterdrücken dieses Mechanismus zähle ich bereits als derbe Gewalt.

Dasselbe passiert bei Schmerzen, die wir nur bedingt steuern und unterdrücken können. Den Sexualtrieb können wir ebenfalls nur mit diversen Hilfsmitteln effektiv lenken. Seine Unterdrückung kostet viel Energie. Was uns seit Urzeiten begleitet, ist so tief verankert, dass selbst der bewussteste Mensch es nicht vollkommen für immer aushebeln kann. Jedenfalls nicht, solange er in einem gesunden Körper existieren will.

So ist es auch psychologisch erwiesen, dass wir nur zwei grundlegende Modi der Existenz kennen: Frieden und Angst. So lange alles für uns gut läuft, befinden wir uns im Frieden. Sobald etwas nicht so funktioniert, wie wir das wünschen oder uns etwas bedroht, wird die Angst aktiviert. Nun wirst du denken, dass es ja superviele verschiedene Stufen der Angst gibt: vom leichten Schaudern bis zur Angst, gleich zu sterben. So ist es aber auf der untersten Ebene unseres Wesens eben nicht. Hier kennt das Gehirn nur zwei Zustände: »Alles in Ordnung« und »Ich sterbe gleich«. Besonders gut lässt sich das bei Neugeborenen und Kleinkindern beobachten. Sobald etwas nicht stimmt, schalten sie ihre lauten Sirenen ein, die alle um sie herum alarmieren. Weinen, schreien, kreischen, wild um sich schlagen, trampeln und andere ausdrucksstarke Handlungen machen uns klar, dass dieses kleine Wesen etwas so dringend will oder braucht, weil es denkt und fühlt, sein Überleben hinge davon ab.

So bleibt es unser ganzes Leben lang. Uns wird beigebracht, diesen Impuls zu kontrollieren und zu unterdrücken. In unseren bewussten Handlungen spiegelt sich die Kontrollfähigkeit dieses Impulses wieder.

Allerdings können wir den Ich-sterbe-gleich-Impuls nicht auf der Ebene unserer Erinnerungen steuern. Jedwede Erinnerung wird in dem gerade vorherrschenden Kontext gespeichert, also mit dem Etikett »Alles ist gut« oder »Ich sterbe gleich« versehen. Diese beiden Gefühle haben jedoch nichts mit der Realität des von dir Erlebten zu tun.

Du kannst noch so positive Erfahrungen sammeln, so lange du dich im Zustand des »Ich sterbe gleich« befindest, wird deine Erfahrung negativ abgespeichert. Und dieser Zustand ist im Grunde genommen unsere Standardeinstellung! Wenn du dich erinnerst, wie die Verteilung deiner positiven und negativen Gedanken in deiner Standardeinstellung ist, befindest du dich zu 92,5% deiner Lebenszeit im Ich-sterbe-gleich-Modus. Er wird von allem Möglichen ausgelöst: aktueller Gefahr, möglicher Gefahr, erdachter Gefahr, erfundener Gefahr, Gefahr in Geschichten, Büchern, Filmen und Spielen, Dramen, Stress, negativen Gedanken gegenüber anderen oder dir selbst, und so weiter.

Ausschließlich die Momente, in denen du zufrieden, dankbar, demütig, schmerzfrei, leidfrei oder glücklich bist, werden mit dem Etikett »Alles in Ordnung« abgelegt.

Bist du also gestresst, oder machst dir negative Gedanken jedweder Art, können dir noch so tolle Dinge passieren, in deinen Erinnerungen werden sie mit einer negativen Grundstimmung abgespeichert. Dazu kommt, dass das Gehirn auf sofortige Leidvermeidung programmiert ist. Deswegen werden deine Erinnerungen so abgeändert, dass du selbst besser dastehst, als es neutral gesehen der Fall war. Du willst meist die Verantwortung für deine Taten nicht übernehmen, um etwaige Strafen zu vermeiden – ein Relikt aus Kindertagen. Vor allem dir selbst gegenüber schönst du die Erinnerungen, weil du dir selbst die härtesten Strafen auferlegst. Von klein auf lernt das Gehirn, dass beinahe alle Handlungen irgendwelche Strafen nach sich ziehen.

Also zwei weitere Dinge: Du stellst dich in jeder Erinnerung in den Mittelpunkt, auch wenn in der Realität jemand ganz anderes der Mittelpunkt des Geschehens war. Und du änderst deine Erinnerungen so ab, dass du dir morgens noch in den Spiegel sehen kannst, ohne dich zu hassen oder dich selbst strafen zu wollen. Dafür erfindest du jede Menge Ausreden und Wendungen, die nichts mit dem realen Geschehen zu tun hatten.

Selbst wenn deine Wahrnehmung, Bewertung, Handlung und deren Konsequenzen dir im Hier-und-Jetzt bewusst sind, verändern sie sich komplett, nachdem dein Gehirn sie abgelegt hat.

Bei manchen Menschen werden die Begebenheiten viel dramatischer gespeichert, als sie in Wirklichkeit stattfanden. Sie nutzen diese Dramatik, um sich selbst Vorwürfe zu machen und in Selbstmitleid zu baden, sich selbst zu verurteilen und zu bestrafen, weil sie glauben, schlechte Menschen zu sein. Dieser Hang zur Selbstzerstörung oder Selbstkasteiung sorgt dafür, dass diese Menschen immerzu im Ich-sterbe-gleich-Modus verweilen.

Deine Erinnerungen sind nur Geschichten, die du dir und anderen immer wieder erzählst. Frage einmal mehrere Personen, die Teil eines denkwürdigen Moments in deinem Leben waren, nach ihren Erinnerungen an diesen Moment. Dieser Moment sollte nicht so fern in der Vergangenheit liegen, damit sich alle gut erinnern können. Du wirst feststellen, dass jeder sich anders an diesen Moment erinnert. Selbst wenn dieses Ereignis nur wenige Stunden vergangen ist, bekommst du von zehn Menschen zehn unterschiedliche Beschreibungen dieser Situationen.

Dazu kommt, dass dein Gehirn nicht zwischen real erlebten und starken fiktiven Momenten unterscheiden kann. Wenn du zum Beispiel außergewöhnlich emotionale Augenblicke in Romanen, Filmen, Serien und Computerspielen erlebst, legt dein Gehirn diese als echt ab. Je weiter sie zurückliegen, desto realer erscheinen sie dir. Selbst Szenen, die du dir im Geist wie real vorstellst, nimmt das Gehirn als real wahr. Die Geschichten, die du im Geist immer wieder durchlebst, wirken mit jedem Mal echter.

Auf all diesen Geschichten deiner Erinnerung baust du nun deine Handlungen für Situationen auf, die dir im Hier-und-Jetzt begegnen. Sobald du eine Erinnerung aus deinem Speicher holst, erlebst du sie wieder neu. Gedanken und Gefühle kehren wieder, vielleicht sogar mit den dazugehörigen Bildern, Tönen, Gerüchen. Auf jeden Fall wird der dazugehörige Status sofort wiederhergestellt. Das bedeutet, dass du dich sofort nach der Erinnerung im Ich-sterbe-gleich- oder Alles-in-Ordnung-Modus befindest.

Auch wenn dies unbewusst geschieht, setzen sich die Eindrücke im Bewusstsein fort und beeinflussen deine Handlungen. Es ist von größter Wichtigkeit, dass dir dieser Mechanismus bewusst ist. Sei dir bewusst, dass deine gesamte Vergangenheit eine Geschichte ist, die du dir immer und immer wieder erzählst, indem du dich an sie erinnerst. Sei dir bewusst, dass diese Erinnerungen fehlerhaft sind, da sie im entsprechenden Rahmen abgelegt wurden. Sei dir bewusst, dass sie nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit enthalten und dass viele, viele Aspekte der realen Begebenheit fehlen, da du sie gar nicht wahrnehmen konntest oder sie ausgeblendet hast. Beispiele hierfür sind die Gedanken und Gefühle anderer Beteiligter oder unangenehme Teile der Begebenheit.

Deswegen neigst du dazu, immer wieder dieselben falschen (für dich nachteiligen) Entscheidungen zu treffen, wenn du dich nach deinen Gedanken oder Gefühlen richtest.

Deswegen entscheiden bewusst lebende Menschen nach dem Seelenimpuls, denn der ist unvorbelastet und neutral. Er kennt keine Erinnerungen und keine falsch abgelegten Erlebnisse. Warum sich das meiner Meinung nach so verhält, beschreibe ich im letzten Teil dieses Buches.

Vielleicht hast du nun auch erkannt, dass du die Geschichte deiner Vergangenheit für dich selbst nachträglich ändern kannst. Aus einer unglücklichen Kindheit kann eine glückliche Kindheit werden und aus schlechten Entscheidungen wieder gute. Du brauchst nur den Kontext der Erinnerungen ändern. Glaubst du daran, dass du ein Unglückspilz oder schlechter Mensch bist, dem ein schönes oder gutes Leben nicht zusteht? Glaubst du, dass du kein schönes Leben erreichen kannst, weil du immer schlechte Entscheidungen triffst? Du wirst in diesem Abschnitt vielleicht bemerkt haben, dass dies vollkommener Blödsinn ist. Dein Gehirn redet dir das ein, da es deine Erinnerungen immer im Ich-sterbe-gleich-Modus abgelegt hat. Aus deiner Perspektive und aus deinen Erinnerungen heraus siehst du alles nur im negativen Licht. Nun weißt du, dass du das von jetzt auf gleich ändern kannst, indem du deine Aufmerksamkeit (dein Bewusstsein) auf all die positiven Sachen lenkst, die dir begegnen und zuteilwerden. Sobald dir klar wird, dass sowohl positive als auch negative Ereignisse zu deiner Entwicklung gehören und du dies als gut für dich akzeptierst, werden sich deine Erinnerungen nachträglich (im Moment des erneuten Erinnerns) automatisch zum Positiven verändern.

Es liegt allein an dir, dein Leben in die Hand zu nehmen und in eine für dich passende Richtung zu verändern.