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4.7 Weltwahrsuchsagverbesserer

Lesedauer: 6 Minuten

Viele Menschen, die sich für bewusst und erwacht halten, beginnen damit, die echte Wahrheit zu suchen, die hinter allem liegt. Sie suchen ihren Weg und wollen am liebsten alle um sie herum dazu anhalten, denselben Weg zu gehen.

Mit der Wahrheit ist es so eine Sache. Es gibt genauso viele persönliche Wahrheiten, wie Liebewesen auf unserem Planeten. Nicht nur wir Menschen, sondern alle Liebewesen besitzen ihre eigene Sichtweise, die durch die eigene Wahrnehmung und das eigene Erleben beschränkt ist.

Wahrheitssucher werden immer nur die von ihnen gesuchte Wahrheit finden. Sie blenden alles andere aus, das nicht in ihren Erfahrungsraum und in ihre Vorstellungswelt passt. Gerade in Phasen, wenn ihnen neue Entdeckungen und bisher unbekannte Erlebnisse begegnen, wollen sie ihre Erkenntnisse mit anderen teilen. Das ist ganz normal. Anstrengend für sie selbst und für andere wird es, wenn sie ungefragt ihre Einsichten verbreiten und versuchen, ihre Mitmenschen zu überzeugen, dass ihr Weg der – und ihre Wahrheit die – einzig richtige ist. Dabei wissen sie meist nicht einmal, ob der Weg wirklich ihr Weg und die gefundene Wahrheit wirklich ihre Wahrheit ist. Das stellt sich meist erst viel später heraus. Oft bemerken sie nicht, dass sich ihr Weg und ihre Wahrheit stetig mit ihnen zusammen verändern.

Wahrheitssucher, die auf ihre Wahrheit gestoßen sind, verbreiten oft Vorhersagen. »Die Welt wird sich so und so verändern. Pass auf, du wirst sehen, dass es in Zukunft so und so laufen wird. Dies und jenes Vorkommnis deutet darauf hin, dass sich die Zukunft so und so entwickelt.« Diese Vorhersagen können positiv oder negativ ausfallen. Das liegt immer daran, ob der Wahrsager gerade etwas Gutes für sich und seines Gleichen wünscht, oder dass alle anderen etwas durchleiden sollen.

In jedem Fall kannst du an der Aussage des Wahrsagers genau feststellen, was ihm in seiner aktuellen Situation fehlt und was er sich wünscht. Du kannst seine Ängste und Befürchtungen herauslesen. Mehr haben diese Wahrsagereien meist nicht zu bedeuten.

Wahrheitssucher, die sich nicht gesehen und geschätzt fühlen, sehnen sich meist nach Veränderung in der Welt, damit sich die Welt besser an ihren eigenen Bedürfnissen orientiert. Die nenne ich mal Weltverbesserer.

»Bald werden sich alle anderen und die ganze Welt zu meinen Gunsten verändern.« Diese Menschen sind mit ihrer aktuellen Situation unzufrieden und wollen Veränderungen für alle herbeiführen, damit es ihnen selbst besser geht. Sie haben nicht auf allen Ebenen begriffen, dass sie sich nur selbst verändern brauchen, damit sich ihr Stückchen Welt verändert und besser zu ihnen passt. Sie wollen für alle das, was sie als das Beste empfinden, ungeachtet dessen, was alle anderen wollen.

Anstrengend wird es in jedem Fall für beide Seiten, weil diejenigen sich zunächst einmal falsch fühlen, die von den Weltverbesserern mit deren Ansichten konfrontiert werden. Der Weltverbesserer gibt ihnen das Gefühl, dass sie bisher den falschen Weg gegangen sind, sich nicht richtig verhalten haben, nicht auf die richtige Art und Weise gelebt haben. Der Weltverbesserer weiß eigentlich nur, dass sein Weg bisher für ihn funktioniert hat. Wie gut oder schlecht das war, ist dabei egal. Er lebt schließlich noch. Deswegen will er andere davon überzeugen, dass sein Weg der richtige ist. Die Konfrontierten haben jedoch auch einen bisher für sie funktionierenden Weg beschritten. Sie leben ja schließlich auch immer noch. Deswegen verstehen sie nicht, was daran falsch sein soll. Weltverbesserern gefallen oft die Folgen der von Konfrontierten gegangenen Wege für sich selbst nicht. Sie  bestätigen ihre eigenen Ängste. Also wollen sie diese Auswirkungen aus den Leben der Konfrontierten entfernen, sozusagen als Ersatzhandlung. Dabei können sie gar nicht ermessen, wie die Konfrontierten diese Auswirkungen erleben. Manche Menschen finden die Auswirkungen meiner Lebensweise ganz furchtbar. Für mich sind sie jedoch absolut normal und gar nicht tragisch. Spricht mich ein Weltverbesserer darauf an, dass ich die Auswirkungen vermeiden könnte, wenn ich diese und jene Handlungen unterlassen und dafür lieber diese und jene Handlungen durchführen sollte, fühle ich mich falsch und gemaßregelt. Auch das ist normal. Ich wehre mich gegen die Weltverbesserer, denn es ist kein schönes Gefühl, das diese mir geben. Die Folge sind Diskussionen, Streits und negative Energien, die beide Seiten abbekommen.

Weltverbesserer brauchen ein dickes Fell, denn sie dürfen mit der Gegenwehr der Konfrontierten zurechtkommen. Im schlimmsten Fall bleibt dem Konfrontierten nichts übrig, als sich von den Menschen abzuwenden, die sie ständig verbessern wollen. Niemand hat Lust, sich ewig falsch zu fühlen, zu streiten, in kleinen Grabenkämpfen Zeit zu verlieren oder immerzu hören zu müssen, dass seine Lebensart verkehrt ist.

Ein Argument, mit dem Weltverbesserer ihre Verbesserungsreden begründen ist: »Jemand muss demjenigen doch die Augen öffnen und klar machen, was er ändern darf, damit es ihm gut geht.« Dabei wird der Status des gut Gehens von dem Weltverbesserer für die anderen definiert. Den Konfrontierten geht es vielleicht bereits mit ihrem derzeitigen Leben gut. Das interessiert den Weltverbesserer jedoch nicht.

Ein anderes Argument, das die Weltverbesserer bringen: »Auch wenn sie sich jetzt noch wehren, so habe ich meine Argumente und Reden wie einen Samen in ihr Unterbewusstsein, ihr Herz und ihre Seele gepflanzt. Die werden eines Tages aufblühen und das Leben der Konfrontierten entscheidend verbessern. Eines Tages werden sie die Welt so sehen, wie sie ist.« Das heißt, dass sie sie Bitteschön so sehen sollen, wie der Weltverbesserer sie sieht. Du siehst, dass die grundlegenden Gedanken hinter dem Weltverbesserern ganz einfach sind: Die Weltverbesserer wollen allen beweisen, dass sie SELBST NICHT den falschen Weg gehen. Sie wollen ein bestimmtes Bewusstsein bei allen anderen schaffen, das ihrem eigenen gleicht. Sie wollen die ganze Welt so formen, dass die Weltverbesserer selbst besser in sie hinein passen.

Viele Weltverbesserer sehen sich als Revolutionäre. Sie wollen Veränderung und Neues in eine Welt hineinbringen, die sich sowieso stetig verändert und Neues entstehen lässt. Was ihnen nicht bewusst ist: Alle Revolutionen, die in irgendeiner Weise forciert wurden, sind gescheitert. Sie erzeugten stetige Gegenwehr und konnten der natürlichen Veränderung nicht standhalten. Alle großen Revolutionäre, die eine wirkliche andauernde Veränderung erreicht haben, drängten sich nicht auf, sondern lebten einfach ihr Leben. Sie beantworteten lediglich die Fragen der Menschen. Wenn dich jemand nach deiner Lebensart fragt, ist er offen und neugierig. Die Fragenden beschäftigen sich gerade mit den Themen, die du für dich bereits verarbeitet hast und zu denen du etwas sagen kannst. Sie sehen dich handeln, kommen zu dir und wollen selbst eine Veränderung bei sich herbeiführen. Sie suchen nach Anleitung und Unterstützung. Der Boden ihrer Seele ist bereit für deinen Samen und sie werden ihn hegen und pflegen, damit er optimal gedeihen kann. Auf diese Art entsteht ein wertschätzendes und entspanntes Miteinander, das auch in Zukunft bestand haben wird. Auf diese Weise entstehen nachhaltige Veränderungen. Verändere dich selbst und treffe Menschen, die dich sehen und wertschätzen. Dafür darfst du dich allerdings erst selbst sehen und wertschätzen.

Nun will ich auf keinen Fall sagen, dass du deine Erkenntnisse ganz für dich behalten sollst. Es geht um die Art der Weitergabe. Liegt dahinter eine bestimmte Absicht? Willst du mit deinen Erzählungen etwas Bestimmtes erreichen? Oder willst du einfach nur berichten, was dir widerfahren ist? Es ist wichtig, die eigenen Erkenntnisse zu kommunizieren, damit andere Menschen sich daran orientieren können. Der Unterschied liegt im Mitgefühl. Gebe ich anderen Menschen gerade das Gefühl, dass sie falsch sind? Kommt von ihnen ein Widerstand und will ich diesen unbedingt durchbrechen, damit sie meinen Weg sehen und gehen? Berichte ich einfach nur von meinen Erlebnissen und Erfahrungen? Wecke ich Neugier und inspiriere andere Menschen? Warte ich ab, ob andere damit zurechtkommen? Lasse ich offen, ob sie etwas aus meiner Erzählung mitnehmen? Erzähle ich wertfrei? Versuche ich den anderen eine Lösung aufzuzeigen oder aufzudrängen? Berichte ich nur davon, wie ich eine Herausforderung gelöst habe? Sehe ich diese Lösung als einzig Richtige? Glaube ich zu wissen, was für andere gut ist und erzähle deswegen meine Erlebnisse zielgerichtet, um sie zu beeinflussen?

Der Hauptwegweiser für die Art meiner Rede ist Gegenwehr oder abweisendes Verhalten. So lange das ausbleibt, ist alles gut. Sobald eine Abwehr erfolgt, dringe ich zu tief in den Raum von anderen ein.

Was hat das nun mit dem Thema Hier-und-Jetzt zu tun? Ganz einfach: Wahrheitssucher und Weltverbesserer sind nicht im Hier-und-Jetzt, sondern damit beschäftigt, ihre Wahrheit zu finden und zu verbreiten. Sie kümmern sich in der Zeit, die sie damit verbringen, nicht um sich selbst und ihre eigenen Bedürfnisse. In dem Glauben, die Welt für alle zu verbessern, verlieren sie aus den Augen, dass andere Menschen andere Bedürfnisse haben und andere Erfahrungen und Erlebnisse machen möchten. Das Bedürfnis, die Welt zu einem besseren Ort machen zu wollen, weist darauf hin, dass du im Hier-und-Jetzt nicht im Frieden mit dir selbst und deiner Situation bist. Ich habe viel Zeit damit verbracht, herauszufinden, was mir diesen Frieden bringen kann, ohne gleich die ganze Welt zu verändern. Vielleicht findest du ja einen neuen Impuls, der das ermöglicht. Vielleicht triffst du auf einen Menschen, der genau das schon erreicht hat. Dann kannst du ihn ja fragen, wie er es geschafft hat, seinen Frieden zu finden.