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- 5.7 Liebe Versus

Liebe steht in unserer Kultur immer im Gegensatz zu mehreren anderen Gefühlen. Liebe versus sozusagen.
Liebe gegen Hass, Liebe gegen Neid, Liebe gegen Eifersucht, Liebe gegen Angst.
Mir ist auch schon begegnet, dass manche Menschen dachten sie seien weiter entwickelt, weil sie begriffen haben, dass nur Liebe und Angst sich gegenüberstehen. Ich las einige Texte und sprach dann auch mit Menschen darüber, die davon ausgehen, dass alle guten Dinge aus Liebe resultieren und alle schlechten Dinge aus der Angst.
So sei eben Hass die Angst davor, nochmal von einem Menschen verletzt zu werden, den man sehr geliebt hat. Neid sei die Angst, nicht so gut zu sein, wie der geliebte oder bewunderte Mensch. Eifersucht sei die Angst, den geliebten Menschen an einen anderen Menschen oder sogar einen Gegenstand zu verlieren. Und so wird jede negative Regung zu einer Geschmacksrichtung der Angst.
Dazu kommt noch das Beispiel des Glases oder Krugs, der voller Liebe ist. Doch wenn man Angst hineingibt, dann verdrängt diese die Liebe. Also je mehr Angst man in das Gefäß füllt, desto mehr Liebe läuft über den Rand hinaus, bis zum Schluss nur noch Angst übrig bleibt. Man müsse dann die gesamte Angst ausleeren und zu einem leeren Gefäß werden, damit wieder Liebe hineinfließen kann. Oder man gießt eben bewusst Liebe nach, um die Angst zu verdrängen.
Ich habe diese Vorstellung lang in mir bewegt und mir wie immer in meinem Alltag angeschaut, wie sich das für mich darstellt.
Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass tatsächlich alle für uns negativen Gefühle und Handlungen aus irgendeiner Art von Angst hervorgehen, quasi Angstwasser in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Irgendwann einmal habe ich bei verschiedenen Menschen mitbekommen, dass ich sie liebe, obwohl ich auch verschiedene negative Gefühle für sie hegte. Die Liebe lag sozusagen unter der Angst. Die Angst deckte die Liebe lediglich ab und verdrängte sie nicht.
Eine Partnerin trennte sich von mir. Ich hatte es vorher schon geahnt und habe es schon vorher akzeptiert, in dem Bewusstsein, dass ich es sowieso nicht würde ändern können. Ich war traurig, als es soweit war, weil ich sie sehr liebe und mir vorgestellt hatte, mit ihr gemeinsam zu leben. Ich wurde enttäuscht. Das war gut so, denn ich stellte fest, dass sich eigentlich nichts änderte, außer dass wir nicht mehr zusammen schliefen und weniger Kontakt hatten, als vorher. Doch mein Gefühl für sie hat sich nicht verändert.
Ich war böse auf Kolleg*innen und Freund*innen, die mich verletzten, ich bildete mir ein, sie zu hassen, aber in Wirklichkeit hatte ich einfach Angst, dass sie mich wieder und wieder verletzen würden. Als ich das feststellte, bemerkte ich auch, dass die Verletzung nur in meinem Verstand existierte. Sie hatten meine Gefühle, meinen Stolz und meinen Ruf verletzt, also das Bild, das ich von mir selbst hatte und das ich auch nach außen darstellen wollte. Die Persona, die ich mit allen Mitteln verteidigte. Kurz gesagt, die Verletzung war nur eingebildet, tat aber trotzdem im Alltag weh.
Nachdem mir das bewusst war, konnte ich dafür sorgen, dass sie mich nicht mehr verletzen konnten, denn die Angst davor war verschwunden und mein Selbstbild hatte ich korrigiert. Eigentlich hatten mir diese Menschen einen Gefallen getan mit ihren Attacken, denn sie trafen genau ins Schwarze und halfen mir, mich weiterzuentwickeln und authentischer (mehr ich selbst) zu werden.
Ich beneidete reiche Menschen, die sich scheinbar alles leisten konnten und badete in Missgunst. Ich wünschte ihnen, dass sie mal alles verlören, um zu erleben, wie es ist, jeden Cent zweimal umdrehen zu müssen. Eines Tages fiel mir auf, dass ich selbst reich war. Mir mangelte es in Wirklichkeit an nichts. Alles, was ich mit dem Reichtum kaufen oder tun könnte, würde mir sowieso nicht entsprechen. Ich würde mir keine Luxuskarosse und keine Villa leisten wollen, keinen Privatjet oder Hubschrauber. Ein Pool, in dem nur ich allein schwimmen konnte, eine Sauna für mich allein wären mir viel zu langweilig. Ob ich im Zug nun in der ersten oder zweiten Klasse reiste, war mir im Grunde genommen egal. Entweder bekam ich sowieso kaum etwas mit, weil ich unterwegs an einem Roman schrieb oder ich traf nette Menschen, mit denen ich interessante Gespräche führte. In der Sauna liebe ich es, zusammen mit anderen Menschen zu schwitzen und zu ruhen. Es ist ein befreiendes Erlebnis mit Menschen zu sprechen, wenn Herkunft, Stand, finanzielle Mittel und Beruf keine Rolle spielen, weil jeder nackt ist.
Ich bemerkte, dass ich immer das zu essen hatte, was mir am besten schmeckte und selbst die ausgefallensten Rezepte kochen konnte. Ich habe immer einen flotten Computer gehabt, der alles konnte, was ich wollte. Ich hatte alle möglichen Geräte als Spielzeug oder zur Bewältigung meiner Aufgaben und Hobbys. Im Grunde hatte ich immer alles, was ich wirklich brauchte. Was will ich mehr? Mehr Zeug, das mir nichts bedeutet? Auch so kann ich sorgenfrei leben und selbst mit einem geringen Einkommen komme ich gut über den Monat. Wenn ich mal etwas Größeres anschaffen möchte, dann leihe ich mir Geld und kann es immer in einer angemessenen Zeit problemlos zurückzahlen, inklusive Zinsen. Dabei muss ich nie auf etwas verzichten.
Also brauchte ich niemanden mehr beneiden. Ich hatte ja nur Angst gehabt, dass jemand mehr bekommt, als ihm zusteht und dass mir in Wirklichkeit genauso viel zusteht. Letzteres steht außer Frage, denn ich finde, dass jedem Menschen dasselbe zusteht: dass alle seine Bedürfnisse erfüllt werden können.
Und ich stellte wieder fest, dass die Menschen, die ich beneidet hatte, eigentlich liebte und der Neid nur obenauf lag.
Für mich gab es früher auch gefühlt das Konzept des »Liebe versus«, doch mittlerweile habe ich für mich erkannt, dass ich immer Liebe empfinde. Sie wird nur manchmal von einer bestimmten Geschmacksrichtung der Angst überlagert.
Es fällt mir auch leichter, mir vorzustellen, dass ich die Ängste einfach wie unnütze Schriftstücke vom Tisch räumen kann und die Liebe dann darunter zum Vorschein kommt.
Und oft ist es gerade eine veränderte Vorstellung von etwas, das die entscheidende Veränderung des Lebens nach sich zieht.