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Die Comics gibt es nur in der Taschenbuchausgabe

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Ich bins, der Niemand

Lesedauer: 6 Minuten

Ich besaß jede Menge Zeug, mit dem ich mich identifiziert habe. Ich fühlte mich sehr tief mit diesen Dingen verbunden. Ich war Mitglied des Fanclubs meines Lieblingsautors und habe stundenlang über seine Bücher und seine Weltanschauung mit Gleichgesinnten gesprochen. Ich war Metalfan, Computerspezi, Gamer, Nerd, Autor, Naturliebhaber, war Teil eines stark verbundenen Freundeskreises, meine familiäre Bindung war tief ausgeprägt, mein Job krisensicher bis zur Rente. Ich besaß ein Haus mit Garten, einen riesigen Fernseher, eine tolle Raumklangmusikanlage, mehrere Computer gleichzeitig, eine Spielekonsole, Tausende Bücher, Hunderte Musik-CDs und DVDs, das teuerste Smartphone, und so weiter. Mein Freundeskreis brach langsam weg, weil sich alle unterschiedlich entwickelten. Das Haus wurde mir zu aufwändig in der Erhaltung, so ganz allein mit 40-Stunden-Job. Die Geräte gingen nach und nach kaputt und ich habe nur die notwendigsten ersetzt. Teile meiner Familie stellten sich als gesundheitsgefährdend für mich heraus. So ging es immer weiter. Irgendwann fand ich mich orientierungslos in meinem Leben wieder und war von meiner Arbeit und dem ganzen Stress rund herum krank geworden. Ich fragte mich, wer ich bin. Als ich dann auf Tolle stieß und sein Buch las, wurde mir klar, dass ich auch ohne das alles ich war, dass ich mich im Grunde nicht verändert hatte. Was sich jedoch veränderte war meine Einstellung zu allen Gedanken, Handlungen, Menschen und Gegenständen. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich wirklich frei fühlte. Ich fand heraus, dass die Bindungen zu Menschen viel tiefer wurden, da ich sie nicht mehr unbedingt festhalten wollte. Alle die blieben, waren freiwillig in meinem Leben, ohne dass ich ihnen hinterherlief oder ihnen Gefallen erwies. Selbst wenn jemand weiterzog, empfand ich es nicht mehr als schlimm. Sie waren ja kein gefühlter Teil mehr von mir und ich wusste, dass ich mich durch ihre Abwesenheit nicht verändern würde und sie nicht durch meine. Ich löste die Bindungen zu allem und jedem auf, ich löste mich also selbst auf und das wahre ICH hatte endlich den Raum zu Tage zu treten. Vorher hatte ich dieses ICH durch die ganzen Hamsterräder unterdrückt, die ich freiwillig durchlaufen hatte. Davor konnte es sich nicht entfalten. Ich war immer darauf bedacht, die Erwartungen anderer an mich zu erfüllen. Gerade in der Hinsicht, wie ich sein soll, damit ich ihnen genehm war. Viele Menschen sagten mir, wie sehr ich mich zu meinem Nachteil verändert hatte. Dabei hatte ich mich eigentlich nur zu ihrem Nachteil entwickelt, da ich ihre Ansprüche und Erwartungen an mich nicht mehr umfänglich erfüllte.

Mein wahres ICH lernte ich erst nach der kompletten Auflösung meiner Identifikationen kennen. Ich wurde Niemand und aus dem Niemand wurde ICH.

Das Geheimnis hinter all der Identifikation ist der Gedanke: 

ICH BIN. 

Alles, was du hinter diese beiden Worte stellst, entweder in Gedanken, in Gefühlen, in Worten oder gar in Taten, zu dem wirst du.

Ich bin Hausbesitzer.

Ich bin Besitzer eines Autos.

Ich bin Fan des Vereins.

Ich bin Partner*in eines bestimmten Menschen.

Ich bin Chef*in oder Mitarbeiter*in in der Firma XY.

Ich bin die Tochter oder der Sohn meiner Eltern.

Jedes ICH BIN kettet dich an jemanden oder an etwas und schränkt dich ein. Jedes ICH BIN formt dich und belastet dich mit den damit verbundenen Erwartungen.

Dabei sind sie alle gar nicht notwendig.

ICH BIN.

Das reicht vollkommen. Mehr brauchst du nicht.

Darf ich mich dir noch einmal erneut vorstellen? 

Mein Name ist Markus und ich bin. 

Seitdem ich einfach bin, befinde ich im Frieden mit mir und fühle mich wirklich frei. Der Tag, an dem ich Niemand wurde, war der Tag meiner Befreiung aus allen Erwartungen. Und diesen Tag kann ich sogar identifizieren. Rate mal. Es ist der Tag des Pillenmoments.

Natürlich darf ich noch für meinen Lebensunterhalt sorgen, natürlich besitze ich noch jede Menge Dinge, natürlich bin ich mit Menschen verbunden. Doch ich identifiziere mich nicht mit ihnen. Gegenstände sind zur Benutzung da und Menschen dazu, miteinander durchs Leben zu gehen, es gemeinsam zu erleben und auszukosten, sich zu lieben und unterstützen und gemeinsam zu wachsen. 

Geht irgendein Gerät kaputt, habe ich nicht die Not, es ersetzen zu müssen. Verschwindet irgendein Mensch aus meinem Leben, so weiss ich, dass es uns beiden nicht schadet. An seine Stelle wird jemand anderer treten. Nicht als Ersatz, sondern als vollkommen neuer Teil meines Lebens.  Auch wenn ich um einige Menschen trauere, so ist mir doch klar, dass Trennungen immer vor dem Hintergrund von Veränderungen geschehen und wir beide unterschiedliche Wege wählen. Das ist gar nichts Schlimmes. 

Viele Menschen fürchten Trennungen aus Angst vor dem Alleinsein. Du wirst niemals allein sein, wenn du es nicht explizit willst. Das ist bei beinahe 8 Milliarden Menschen auf diesem Planeten unmöglich. Einsame Menschen sondern sich unbewusst oder bewusst ab. Oft liegt diese Einkehr in die Einsamkeit in tief sitzenden Ängsten oder psychischen Verletzungen begründet. Solange du offen durch die Welt gehst, kommst du gar nicht umhin, immer wieder tolle Menschen kennenzulernen.

Du hast nun bestimmt viele Gedanken, die mit einem riesigen ABER beginnen.

ABER das geht doch nicht.

ABER ich kann doch nicht ganz allein durch die Welt gehen.

ABER ich kann doch nicht einfach meine Familie im Stich lassen.

ABER ich kann doch nicht alle meine Freund*innen zum Teufel jagen. 

ABER ich kann doch nicht einfach all meinen Besitz weggeben und Einsiedler werden.

ABER ich kann doch gar nicht ohne meinen Verein leben, das sind alles meine Brüder und Schwestern.

ABER ich kann doch nicht…

Und ich sage: DOCH, das kannst du alles tun, ABER das verlangt niemand.

Es geht darum, die Anhaftung das Kleben, die gedankliche Abhängigkeit von den Dingen und Menschen loszulassen. Das »ich muss aber, weil« abzuschaffen.

Ich brauche dieses spezielle Auto, weil…

Ich brauche meinen riesigen Fernseher, weil…

Ohne meine Familie bin ich nichts, weil…

Ich werde von meiner Familie gebraucht, weil….

Ich werde von der Firma, den Kollege*innen, den Freund*innen, dem Verein gebraucht, weil…

Sie kommen ohne mich nicht zurecht.

Ich brauche sie alle um jeden Preis.

Die Nachbarn, meine Bekannten, meine Kolleg*innen, meine Freund*innen, meine Familie sie erwarten von mir, dass ich …

Das kann alles weg. Das einzige, was du musst, ist SEIN. Niemand sollte Erwartungen an dich haben und du solltest an niemanden Erwartungen stellen.

So hält eine absolute Freiwilligkeit in dein Leben und das Leben aller anderen Einzug. Du tust alles freiwillig, nicht um jemandem zu gefallen oder dir seine Dienste als Ausgleich zu sichern. So ist der Umgang im alltäglichen Miteinander eigentlich schon immer gedacht gewesen. Wenn alle so handelten, würde jeder nur noch das tun, was ihm wirklich entspricht und deswegen leicht fällt. Hierdurch würde jedem sein Leben leichter fallen.

Wer bist du?

Du brauchst nicht alle Kontakte abbrechen und all deinen Besitz weggeben. Du solltest dir nur überlegen, was du wirklich brauchst und welche Menschen dich auch noch lieben, wenn du nichts mehr für sie tust. Menschen, die einfach dich selbst lieben, ganz ohne Grund. Einfach dich lieben, weil du so bist, wie du bist.

Vor meinem Umzug vom großen Haus in die kleine Wohnung und nach meinem Pillenmoment habe ich jeweils Tage und Wochen damit verbracht, jeden meiner Gegenstände in die Hand zu nehmen. Ich schaute ihn genau an, fragte mich bewusst, ob mein Leben ohne ihn in irgendeiner Weise schlechter werden würde. Fragte mich, ob ich ihn nur aus Bequemlichkeit behalte, oder weil andere erwarten, dass ich ihn besaß. Fragte mich, ob ich jemand anderem damit einen Gefallen tat, oder ihn nur besaß, weil man ich sowas haben musste, um wer zu sein.

Welcher Gegenstand und welcher Mensch verbessern meine Lebensqualität? Welchen Gegenstand benötige ich, um meine Ziele im Leben zu erreichen? In dem Moment prüfte ich gleich auch meine Ziele. Welche davon erwuchsen aus meinem Inneren und meinem unbeirrbaren Wunsch? Welche Ziele waren nur Gewohnheit oder wurden von mir erwartet, dass ich sie verfolge?

Ich fragte mich, welche Menschen ich liebte und wer unverzichtbar war, auch wenn er oder sie meine Weltanschauung nicht teilte?

Wir benötigen auch Menschen in unserem Umfeld, die unseren Rahmen sprengen und uns bewusst machen, dass es noch mehr als uns und unsere Ansichten im Leben gibt. Jedoch nur jene, die uns ohne Wenn und Aber so nehmen, wie wir sind. Ohne Einschränkungen. Ohne uns verbiegen zu wollen oder müssen. Auch wenn wir uns ihnen zu einhundert Prozent zumuten.

Ich stellte fest, wer ich bin, wenn ich nur mich selbst habe und sonst niemand da ist.

Ich stellte fest, was die Stille füllt, die ich mit meinen lauten Gedanken und fortwährenden Handlungen, mit Ablenkungen übertönte.

Ich wurde niemand und stellte fest, wer ich bin.

Wer bist du?

Als ich alle Anhaftungen gelöst und alles Unnötige losgelassen hatte, fühlte ich eine neue Leichtigkeit und sah meinen Weg klar und deutlich vor mir. Vieles erlebte ich in neuer Qualität. Es ist seitdem eine viel intensivere Art des Lebens. Jeder, der sich bereits einmal aus dem Leben verabschiedet hat, wird wissen, was ich meine.

Freiheit und Leichtigkeit sind meine ständigen Begleiter. Jeder und alles in meinem Leben verbliebene ist hier, um mich zu unterstützen, und damit ich sie unterstütze. Früher hat das meiste meines Besitzes und die meisten der Menschen mich davon abgehalten. Sie dienten nur zur Ablenkung.

Jetzt kann ich einfach SEIN.