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- Spieglein, Spieglein reflektiert
Selbstreflexion ist gelinde gesagt unzweckmäßig, wenn man sie immer auf derselben Basis und mit demselben Blickwinkel durchführt. Sie gestaltet sich in etwa so wie der allmorgendliche Blick in den Spiegel bei immer gleicher künstlicher Beleuchtung, wenn man jedes Mal genau von vorn drauf schaut. Da wird immer dasselbe Antlitz vom Spiegel reflektiert und wir haben beinahe jeden Tag die gleichen Gedanken dazu.
Der störende Punkt ist auch bei der Reflexion die Bewertung. Sie erfolgt so schnell und geht in Sekundenbruchteilen in ein Urteil über, dass du keine Chance hast, überhaupt herauszufinden, worum es wirklich geht.
Hast du schon einmal gelesen oder gehört, dass hinter keiner Kommunikationshandlung wirklich das Gesagte steckt? Wir reden den ganzen Tag Zeugs, das wir gar nicht meinen. Hinter jedem Anliegen und hinter jeder Frage stecken ganz andere Absichten und Bedürfnisse, als die, die wir äußern. Und so ist es mit jedem Menschen weltweit. Zum Glück gibt es die Empathie und wir können erfühlen und nachvollziehen, was hinter dem Gesagten liegt. Recht oft klappt das auch einigermaßen gut. Doch noch öfter kommt es genau hierdurch zu Missverständnissen und Streits.
Sobald du die Wahrnehmung von der Bewertung trennen kannst, bist du in der Lage dir eine Auszeit zu nehmen, in der du dich in deinen Gegenüber hineinversetzt. Was genau will dieser Mensch jetzt von mir? Du kannst zu Ende zuhören und musst nicht automatisch auf bestimmte Knöpfe reagieren, die dein Gegenüber drückt. Die meiste Kommunikation findet über Stichworte statt, von denen wir erwarten, dass unser Gegenüber darauf anspringt. All unsere wichtigen Sätze sind mit solchen Worten gespickt. Je besser sich die Teilnehmer der Kommunikationsrunde kennen, desto wirksamer sind diese Stichworte. Sie müssen nicht unbedingt dazu genutzt werden, um negative Gefühle wie Schuld, Angst, Neid, Wut oder Ähnliches hervorzubringen. Oft erzählen wir etwas, um Erinnerungen, Wohlbefinden oder Zuneigung hervorzurufen. Die Stichworte müssen nicht dazu gedacht sein, einen Teilnehmer zu einer bestimmten Handlung zu bewegen. Doch sehr oft ist genau das der Fall.
»Du bist schon wieder zu spät mit den Quartalsberichten!«, raunzt die Chefin ihre Abteilungsleiterin Finanzen an. Was sie wirklich meint: Ich bin ungeduldig, weil ich die Berichte noch nicht lesen konnte und deswegen nicht weiß, ob ich mir in diesem Jahr noch meinen lang ersehnten und wohl verdienten Urlaub auf den Kanaren leisten kann. Außerdem hab ich Angst vor der Reaktion der Aktionäre, wenn wir die Prognosen nicht einhalten können.
»Hast du den Müll immer noch nicht rausgebracht?« Eigentlich will der*die Fragesteller*in darauf hinweisen, dass er*sie bereits mehrfach gefragt hat. Er*sie fühlt sich zum einen nicht wahrgenommen und zum anderen befürchtet er*sie, dass Schimmel und Gestank sich ausbreiten, wenn der Müll nicht bald in der Tonne draußen verschwindet.
Das sind sehr plakative Beispiele. Die Empfänger der Nachrichten werden jeweils genervt reagieren, da sie den wahren Beweggrund in diesem Moment nicht erfassen. Sie kennen die Prozedur bereits und haben ihr Urteil über die Fordernden gefällt, kurz nachdem die Worte in ihrem Gehirn angekommen sind. Das verhindert die Wahrnehmung der wahren Beweggründe. Erkennen wir diese, dann können wir ganz ruhig auf die Forderungen antworten.
Im ersten Fall zum Beispiel: »Ach Mensch, ich hatte wirklich viel um die Ohren in letzter Zeit. Ich werde mich aber gleich darum kümmern. Ich weiß ja, wie wichtig es dir ist, dass du über die Finanzlage der Firma informiert bist.« Du gibst zu erkennen, dass du deinen Gegenüber verstanden hast, und würdigst sein Anliegen. Du erklärst ihm, dass er dir wichtig ist und du ihn gern hast und wahrnimmst.
Im zweiten Mal könntest du erwidern: »Ach ja, das hatte ich ehrlich vergessen. Ich erledige das sofort. Schließlich möchte ich den Gestank auch nicht in der Wohnung haben. Und wenn sich Schimmel bildet, bekommt man den ja so schlecht wieder weg. Außerdem ist der gesundheitsgefährdend.« Derselbe Effekt. Wahrnehmung der Sorgen und Ängste, Ausdruck des Mitfühlens und Mitdenkens und das zeigen der Liebe zum anderen verändert die Art der Kommunikation vollständig. Selbst wenn du daneben liegst mit deiner Vermutung, was den anderen bewegt, so wird er deine Versuche honorieren und dir erklären, was ihn wirklich bewegt hat. Unsere Kommunikation ist auf Effektivität und maximale Nutzung der Bandbreite von Stichworten ausgelegt. Du kannst Tausende Worte benutzen und doch wird dein gegenüber nur die wahrnehmen, die ihm bekannt sind und von denen er denkt, er müsse bestimmte Reaktionen einleiten. Am Besten sieht man das am Verlauf von häuslichen Streitereien. Meist regt sich ein*e Teilnehmer*in über etwas auf und fordert die Unterlassung oder eine Handlung ein. Der*die Geforderte nimmt aber nur ein bestimmtes Reizwort wahr. Dann läuft innerlich ein bestimmter Film in immer derselben Reihenfolge mit immer denselben Argumenten ab. Er*sie gibt ein anderes Reizwort zurück, an dem die erste Teilnehmerin ankoppelt und dem*der zweiten Teilnehmer*in wiederum Vorwürfe macht. So geht es wie beim Pingpong oder Tennis hin und her. Später stellt man dann oft fest, dass beide Teilnehmer*innen über verschiedene Dinge gesprochen haben und der Streit eigentlich vollkommen nutzlos war.
Das resultiert aus der immer gleichen Bewertung bestimmter Stichworte, die meistens komplett aus dem Kontext gerissen beurteilt werden. »Och nee, jetzt hat der schon wieder das gesagt! Das hatten wir doch letztens erst! Was soll das denn jetzt schon wieder?« Und schon bricht der schönste Streit aus. Der nebenbei gemerkt viel zu viel Energie, Lebenszeit und schlechte Gefühle kostet. In derselben Zeit könnte man so viele schöne Dinge tun.
Wie kann ich das verändern?
Je bewusster ich wurde, desto bewusster wurde mir, dass ich genau in diesen Bewertungsspiralen festhing – auch bei meiner Selbstbetrachtung.
Ich habe einfach versucht, nicht mehr sofort zu bewerten. Zunächst lasse ich die andere Person ausreden und hake nicht mehr jedes Mal sofort bei bestimmten Reizworten ein. Dann versuche ich zu verstehen, was diese Person mir hinter den Zeilen mitteilen will.
»Gehst du bitte und bringst den Müll raus, weil ich hier noch so viel zu tun habe und langsam an meine Belastungsgrenze stoße. In den vergangenen Stunden habe ich dich auch bereits mehrfach darum gebeten. Mir kommt es so vor, als würdest du mir nicht zuhören, mein Anliegen nicht ernstnehmen oder du hast keine Lust mir zu helfen. Ich wäre dir für deine Mithilfe wirklich dankbar. Deine Unterstützung zeigt mir auch, dass du mich wertschätzt und liebst.« So müsste der eigentlich korrekte Satz aus dem obigen Beispiel lauten. Die gewählte Kurzform ist effektiv und zielt auf den Punkt, von dem der Sprecher genau weiß, dass du darauf anspringst. Dass dieser Punkt für dich verletzend ist, nimmt der Sprecher in Kauf. Bei dir kommt nämlich an: »Du bist immer so unzuverlässig und faul. Ich habe dich nun mehrmals gebeten, den Müll mit raus zu nehmen. Du warst doch sowieso draußen. Wieso hast du nicht gleich dran gedacht?« Und dazu denkst du dann noch: »Immer muss ich den blöden Müll rausbringen. Bin ich hier der Müllmann? Das macht mir keinen Spaß und ich fühle mich überhaupt nicht wertgeschätzt. Ich glaube, ich werde nicht mehr wirklich mit meinen Bedürfnissen wahrgenommen und geliebt.«
Nun gibt es hierzu haufenweise Achtsamkeitslektüre, -kurse, videos und -hörbücher, die dich wiederum trainieren lassen wollen, wie du besser mit anderen kommunizierst.
Ich habe mehrfach ein Fachbuch von Marshall Rosenberg gelesen. Dann habe ich mit Menschen über die Techniken der gewaltfreien Kommunikation gesprochen und alle, die sie leben, sagen übereinstimmend, dass man sie immerzu trainieren muss. Ansonsten verliert man diese Sprache wieder. Das ist doch sehr unbefriedigend und läuft wieder unter dem Aspekt des Abnehmgruppeneffekts.
Dabei funktioniert auch das viel einfacher.
Ich trete einen Schritt aus dem Gespräch zurück und lasse meine Gedanken und Gefühle einfach fließen. Ich achte nicht weiter auf sie. Dann höre ich der Sprecherin oder dem Sprecher genau zu. Ich nehme sie und ihre Worte und die Körpersprache wahr. Das geschieht ganz automatisch. Sobald meine Gedanken dazu nur noch ein Rauschen sind und die Gefühle wie leise Musik in den Hintergrund treten, wird mir automatisch klar, worum es eigentlich in diesem Gespräch geht und was mir der Sprecher oder die Sprecherin sagen möchte.
Als nächstes kommen meine Liebe, mein Mitgefühl und mein Mitdenken auf. Ich bemerke die wohlwollenden Gedanken dem anderen gegenüber, weil ich verstehe, was ihn oder sie antreibt. Ich verspüre den Drang, Sorgen und Ängste zu lindern und unterstützend tätig zu werden. Manchmal höre ich auch einfach nur zu. Denn oft reicht das schon an Unterstützung. Viele Menschen verarbeiten Erlebnisse und gewinnen Erkenntnisse, indem sie mit anderen Menschen, denen sie vertrauen, einfach nur sprechen. Uns Männern wird oft nachgesagt, dass wir gleich Lösungen präsentieren wollen, wo bloßes Zuhören gefragt ist. Das habe ich mit Frauen genauso erlebt, nur meist bei anderen Themen, wie Gesundheit, Ernährung, Kindererziehung, in ihren beruflichen Spezialgebieten und so weiter. Da schlagen sie dann ebenfalls sofort Lösungen vor.
Die Lösungen sind meist unbefriedigend für den*die Sprecher*in, da sie ja aus dem Verstand stammen und die zugrundeliegenden Bedürfnisse des*der Sprechers*in gar nicht berücksichtigen.
Jedes Mal, wenn ich jemandem sage, dass ich Vegetarier und Diabetiker bin, möchte ich eigentlich sagen: »Ich hoffe, du bist mir nicht böse, wenn ich bestimmte Nahrungsmittel oder Getränke aus diesen Gründen nicht zu mir nehme. Die Ablehnung deines Angebots bedeutet nicht, dass ich dich ablehne.« Als Erwiderung werden mir Gründe genannt, warum man Fleisch essen, vegan leben sollte oder ich bekomme ungefragt Rezepte für zuckerfreie Kuchen und Fruchtaufstriche genannt. Du siehst, wo da die Diskrepanz in der Kommunikation liegt.
Ich möchte Unstimmigkeiten von vornherein vermeiden. Ein*e Fleischesser*in denkt, dass ich sie*ihn und ihren*seinen Fleischkonsum als falsch empfinde, dabei ist mir ganz egal, was sie*er isst. Der vegan lebende Mensch meint, dass ihm zu wenig ist, was ich tue und der Schritt zum Veganismus doch nur ein kleiner sei. Für mich mit meinen sonstigen Einschränkungen in Sachen Ernährung ist es aber ein großer Schritt. Als Diabetiker habe ich mit der Thematik der Ernährung sehr intensiv zu tun und beschäftige mich daher auch sehr genau damit. Deswegen habe ich bereits viele Rezepte, die mir schmecken und benötige keine weiteren mehr, vor allem nicht ungefragt. Die Rezeptvorschläge werden mir mit guten Absichten unterbreitet. Doch es ist einfach mühsam, sich immer und immer wieder dieselben Vorschläge anzuhören, von Menschen die nicht selbst betroffen sind. Sie meinen es zwar gut, aber gut gemeint tut eben nicht gut.
In den meisten Fällen möchte ich einfach nur meine Einschränkungen mitteilen und keine Reaktion darauf erhalten. Die ewigen, immergleichen Gespräche, die auf meine Aussage folgen, sind auf Dauer ermüdend und nervig.
Natürlich ist auch das bewusste Kommunizieren ein Prozess. Dieser findet jedoch natürlicher und nachhaltiger statt, als ein antrainiertes Kommunikationsverhalten. Dabei verändert sich nicht nur deine Art zu sprechen, sondern vielmehr deine Art über dich und andere zu denken, mit dir und anderen intensiver mitzufühlen und auch deine komplette Weltsicht. Diese Veränderungen sind nicht mehr umkehrbar. Das ist einer der Sprünge, über die ich in dem Kapitel Der große Sprung berichtet habe. Dieser Schritt muss bewusst erfolgen. Ich musste mich ganz klar für die bewusstere Kommunikation entscheiden.
In den allerseltensten Fällen (ich will das nicht ausschließen) wird ein solcher Schritt automatisch ablaufen. Natürlich ändern wir unsere Sprechgewohnheiten mit, wenn sich die Sprache an sich verändert. Doch hat das wiederum nichts mit wirklich bewusster Kommunikation zu tun. Ich denke, dass die Entscheidung zu bewussterem Handeln auch bewusst gefällt und umgesetzt werden darf.
Bewusste Kommunikation ist ein Teil der Reflexion, bei der man sich in Bezug auf andere Menschen betrachtet. Ganz genau so kannst du auch deine Selbstreflexion gestalten. Tritt aus der Situation heraus, betrachte dich aufmerksam und schau dir Gedanken und Gefühle mit dem Bewusstsein an, dass sie nur Boten sind und nicht die Nachricht. Das hinter Gedanken und Gefühlen liegende Anliegen deiner Seelenebene kommt erst dann zum Vorschein, wenn du den Gedanken und Gefühlen ihre wichtigtuerische Lautmalerei nimmst. Lass sie dazu einfach vorbeiziehen. Schau wie du deine Handlungen auf der tiefsten Ebene empfindest, ohne Gedanken und Gefühle zu Rate zu ziehen. Was willst du wirklich, was brauchst du wirklich, was entspricht dir wirklich, was unterstützt deine Situation. Schau voller Wohlwollen auf dich und bedenke, dass du im Hier-und-Jetzt immer perfekt bist und nichts falsch machen kannst. Nimm erstmal eine ganze Zeit dich und deine Energie wahr und dann deine Worte und Handlungen. Und zum Schluss kannst du sie auch noch bewerten, wenn du das dann noch für notwendig hältst.
Auf diese Weise kannst du im Grunde genommen alle Bereiche der Persönlichkeitsentwicklung mit Leichtigkeit und nachhaltig und gleichzeitig bearbeiten. Vor allem tust du auf diese Weise nur das, was dir wirklich entspricht und nicht das, was andere von dir erwarten.
Ich habe erst vor einigen Tagen festgestellt, dass ich zwar niemals ein Buch über Achtsamkeit und achtsames Leben gelesen habe, doch durch mein bewusstes Leben die »Regeln der Achtsamkeit« bereits erfülle. Darüber habe ich mich wirklich gewundert. Die Achtsamkeit ist damit quasi ein Abfallprodukt der mir entsprechenden Lebensweise. Viele Menschen rackern sich etliche Jahre damit ab, endlich alle Gebote der Achtsamkeit auch zu leben. Du kannst – genauso wie ich – einfach bewusst leben und es wird dir ein tiefes Bedürfnis sein, auf dich und alle anderen Lebewesen zu achten und achtsam mit ihnen umzugehen.