2-9 Die Sache mit der Energie

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In jungen Jahren ist davon im Übermaß vorhanden. Als Kind konntest auch du wahrscheinlich stundenlang herumtoben, rennen, klettern, radfahren, Schlittschuh laufen und unendlich lange konzentriert spielen. Kurze Pausen füllten den Kraftstoffpegel im inneren Tank immer wieder auf, sodass wir wie ein Perpetuum mobile wirkten. 

Auch in den Teenie-Jahren und den Zwanzigern war immer noch genügend Energie vorhanden, um Schule, Job, Familie, Freundeskreise, Hobbys und Partys unter einen Hut zu bringen. In den Dreißigern wird es schon schwieriger. Der Beruf wird anspruchsvoller, die eigenen Kinder nehmen viel Zeit und Energie in Anspruch. Regeneration beginnt Zeit in Anspruch zu nehmen.

Stolpert eine HSP nicht bereits in dieser Zeit über ihre Hochsensibilität, dann wird es in den allermeisten Fällen in mit Anfang bis Mitte vierzig soweit sein. 

Mit einem Mal funktioniert alles nicht mehr so, wie gewohnt. Man stellt fest, dass der Beruf der letzten 20 Jahre doch nicht dazu geeignet ist, ihn auch bis zur Rente durchzuhalten. Viele Hochsensible wollen genau zu der Zeit den Beruf wechseln und lieber Coaches, Psychotherapeuten, Pflegekräfte, Künstler, Kreativberufler oder spirituelle Lehrer werden. Irgendwas mit Menschen und Kreativität habe ich schon oft gehört. Entweder Menschen helfen oder die Welt schöner gestalten. 

Bei mir war das auch so, nur etwas früher. Ich brauchte noch einmal fast 5 Jahre, um mich umorientieren zu können. 

Wir können mit der Energie der ersten vierzig Lebensjahre häufig die Nachteile der Hochsensibilität einfach wegdrücken und ignorieren. Wir arbeiten hart und viel, zeigen großen Einsatz und schlittern in Depressionen und Burn-outs, weil wir uns übernehmen und nicht rechtzeitig unser eigentliches Wesen leben. Die Erwartungen der Leistungs- und Konsumgesellschaft richten sich nach den Unempfindlichen aus. Da können wir nicht mithalten. Wir arbeiten in kürzerer Zeit mehr, präziser und effektiver. Dafür benötigen wir eben unsere Ruhepausen früher und länger.

Das ist so aber nicht vorgesehen. Das System fördert Menschen, die gleichmäßig und für unsere Begriffe unvorstellbar langsam arbeiten. Dabei ist ihre Art und Weise zu arbeiten die gesündere. Sie stellen weniger Ansprüche an sich selbst und besitzen unseren Hang zur Perfektion gar nicht. Im Grunde genommen wird das auch gar nicht erwartet. Die einzigen die so viel von sich erwarten, sind wir selbst. 

Und so gut es uns auch gelingt, in den ersten zwanzig Jahren unseres Arbeits- oder Elternlebens, diese Erwartungen (die gar nicht existieren, außer in deinem eigene Kopf) zu erfüllen, desto schwieriger wird dies ab dem vierzigsten Lebensjahr.

Unser Körper ist für eine Haltbarkeit von 35 bis 40 Jahren geschaffen. Danach baut er nur noch ab. Die Erneuerungsrate der Zellen verlangsamt sich, die Langzeitfolgen unseres Lebens treten ein. Unsere Körper können mit zunehmendem Alter nicht mehr so viel Energie produzieren und speichern. Dazu kommen die Schmerzen, Defekte und Erkrankungen, die wir parallel zu allem andern verarbeiten dürfen.

Unser Körper reagiert immer sensibler auf Gifte, wie Alkohol, Zigaretten, Drogen, Süßigkeiten, falsche Ernährung und braucht immer längere Zeit, diese abzubauen.

Taschenbuch und E-Book

findest du hier.

Passen wir unseren Lebenswandel nicht diesem Kreislauf der abnehmenden Energie an, dann kommt irgendwann das gewohnte Leben zum Erliegen und es geht erstmal nichts mehr.

Oft spielt auch noch die gestiegene Lebenserfahrung mit hinein. Plötzlich passen Dinge nicht mehr zusammen, die wir in der Vergangenheit nicht hinterfragt haben. 

Wir stellen fest, dass wir in etlichen Lebensbereichen jahrelang belogen und betrogen wurden. An diesen Punkt gelangen die meisten HSP mit Anfang Vierzig bis Mitte Fünfzig. 

Sollte es bei dir soweit sein, dann kannst du dieses Buch nutzen, um dein Leben neu zu strukturieren und endlich nach deinen ureigenen Bedürfnissen zu leben. 

Und mach dir keine Vorwürfe, dass du es nicht früher bemerkt hast. Das ist sehr vielen Menschen und auch mir so ergangen. Dein Leben vorher ist keine verschenkte Zeit, sondern der Unterschied von vorher zu nachher lässt dich die zweite Hälfte nur umso mehr genießen. Das kannst du mir glauben.

Ich empfehle dir, solange du nicht in akut lebensbedrohender körperlicher oder geistiger Situation durch die Vernachlässigung deiner Hochsensibilität steckst, nichts zu überstürzen. Mein Weg von der Erkenntnis, dass ich eine hochsensible Person bin, bis zu dem Punkt, an dem ich meine Bedürfnisse wirklich lebe dauert nun schon einige Jahre an und wird noch ein bisschen Zeit benötigen. Doch bereits in den ersten paar Monaten, in denen ich begann, meine Lebensumstände an meine wirklichen Bedürfnisse anzupassen, hatte sich mein Leben rapide verbessert und seitdem wird es stetig besser.

Das Lösen all deiner Verstrickungen und Routinen nimmt Zeit in Anspruch. Außerdem musst du ja erst einmal herausfinden, wie deine wirklichen Bedürfnisse eigentlich aussehen. Das ist ein zunächst scheinbar aufwendiger Prozess, der immer einfacher für dich wird, je mehr du dich mit ihm beschäftigst. Sobald du genau hinschaust, setzen sich viele Abläufe automatisch in Gang. Die neuen Informationen aus diesem Buch und anderen Quellen, die sich mit Hochsensibilität beschäftigen, werden dir deutlich werden lassen, was für dich wichtig ist und was du beachten solltest, damit du dein Leben effektiv verbessern kannst.

 

Mit der Zeit und so nach und nach kannst du alle Verantwortlichkeiten, Verbindlichkeiten und Zuständigkeiten, in denen du dich jetzt gerade gefangen fühlst, umgestalten und in eine Richtung lenken, die zu dir passt. Diejenigen, die dich einengen oder sich falsch anfühlen, kannst du nach und nach ablegen oder auslaufen lassen.

Alles im Leben ist ein Prozess, und zwar ein einziger, der in viele kleine Schritte aufgeteilt ist. So lange du Schritt für Schritt gehst, wirst du nicht überfordert. Einen hohen Berg bezwingst oder einen Marathon gewinnst du, indem du Fuß vor Fuß setzt und auch entsprechend denkst. Eins nach dem Anderen.