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Inhaltsverzeichnis

Die Comics gibt es nur in der Taschenbuchausgabe

   Inhalt

5.10 Die vier Reiter der ApokaLiebe

Lesedauer: 13 Minuten

Liebe ist nur etwas wert, wenn sie auch bei anderen ankommt.

Güte, Verständnis, Nachsicht und Fürsorge sind Werkzeuge dafür, dass du dich selbst und andere sich von dir geliebt fühlen. Respekt ergibt sich automatisch daraus.

Für mich hat Respekt immer etwas mit Abstand zu tun. Respekt zollen kann ich nur Menschen, die ich achte und von denen ich innerlich gefühlt immer einen oder zwei Meter entfernt stehe. Liebe beinhaltet für mich Respekt, löst jedoch den Abstand zueinander auf.

Güte bedeutet für mich, Gutes zu tun, wohlwollenden Umgang mit anderen oder mir selbst zu pflegen, Barmherzigkeit und Herzensgüte walten zu lassen, also immer davon auszugehen, dass jedes Liebewesen in jedem Moment sein Bestes gibt und so handelt, wie es ihm am besten erscheint.

Das kannst du an dir selbst schnell überprüfen. Egal, in welcher Situation du dich gerade befindest, also im Hier-und-Jetzt, prüfe dich selbst, ob und welche Gründe du für dein Handeln hast. Du wirst bemerken, dass du in jedweder Handlung dein Bestes gibst. Jeder von uns entscheidet sich – oft auch unbewusst – für Handlungsweisen, die uns am nächsten liegen und die durch immer wiederkehrende Gedanken und Gefühle motiviert sind. Diese Gedanken und Gefühle entsprechen ganz uns in der jeweiligen Situation. Würden wir eine bessere Möglichkeit der Handlung sehen oder kennen, würden wir entsprechend anders verfahren. Alle Handlungen folgen immer unseren Gedanken und Gefühlen. Sie sind der Ausdruck unseres inneren Gesprächs mit uns selbst.

Alle negativen und sogar zerstörerischen Handlungen werden immer mit der besten Absicht der Handelnden ausgeführt. Manchmal bezieht diese beste Absicht allerdings ausschließlich den Handelnden ein. Alle anderen haben das Nachsehen.

Güte betrifft auch deine Handlungen, sie hat immer etwas mit Geben zu tun. Gibst du den Menschen und Tieren um dich herum das, was sie benötigen? Gibst du dir, was du benötigst?

Woher sollst du eigentlich wissen, was das genau ist? Hier kommt das Verständnis ins Spiel. Lange Zeit habe ich Verständnis so gesehen, dass ich mich in die Lage einer anderen Person hinein versetze, indem ich denke: »Was würde ich an ihrer Stelle tun?« Damit projiziere ich jedoch meine Ansichten, Vorstellungen, Wahrnehmung und Bedürfnisse automatisch auf die andere Person. »Wie hätte ich an Stelle dieser Person gehandelt? Was wäre gut für mich an ihrer Stelle?«

Das ist der Ansatz: »Ich weiß, was für dich gut sein muss. Ich habe das auch schon durchgemacht.«

Dabei weißt du nicht, wie es für andere war, die ungefähr dasselbe erlebt haben, wie du. Du weißt, wie es für dich war und was du empfunden hast. Du weißt, was dich durch diese Zeit gebracht hat und was für dich funktioniert. Da andere Personen jedoch anders sind als du – schon rein genetisch gesehen – und auch in einem anderen Umfeld mit anderer Wahrnehmung, anderen Erlebnissen und anderen Bedürfnissen leben, ist dieser Ansatz nur gut gemeint. Gut gemeint ist allerdings niemals wirklich gutgetan. Die richtige Formulierung wäre meines Erachtens: »Ich habe das auch schon durchgemacht. Für mich hat es sich so angefühlt und dies und jenes hat für mich funktioniert. Wie fühlst du dich damit und was benötigst du? Wie kann ich dich unterstützen?«

Falls du etwas nicht erlebt hast und trotzdem unterstützen möchtest, könntest du fragen: »Ich weiß zwar nicht, wie das ist, aber könntest du mir vielleicht helfen zu verstehen, wie du dich fühlst und was du benötigst?«

Ich versuche wirklich zu verstehen, vor welchen Herausforderungen die andere Person steht und welche Mittel und Grenzen sie besitzt, mit ihnen umzugehen. Verständnis erwächst aus dem echten Verstehen der anderen und ist ein riesiger Teil des Bewusstseins.

Gerade in der esoterischen und mystischen Szene ist mir sehr oft begegnet, dass Menschen zu mir sagten: »Ja, an dem Punkt der Entwicklung war ich auch schon. Du wirst sehen, dass dies und das das Richtige für dich ist.« Ich gab ihnen zu verstehen, dass sie eben nicht ich sind und nicht am selben Punkt standen. Sie hatten nie meine Fähigkeiten, Bedürfnisse und meine Wahrnehmung. Sie haben aus meinen Beschreibungen lediglich Schlüsselwörter herausgehört und ihre Gedanken zu diesen Schlüsselwörtern gedacht. Wenn ich dann eine Beschreibung ihrer angeblich gleichen Situation bekam, stellte sich für mich schnell klar heraus, dass die Situation, die sie als gleich empfanden nicht im Geringsten so war, wie meine. Außerdem hatten sie für mich vollkommen unmögliche Handlungen zur Lösung der Herausforderungen durchgeführt. Kurz: Sie waren in ganz anderen Situationen und hatten ganz andere Voraussetzungen und Lösungen als ich. Wenn ich das dann äußerte war die Standardreaktion: »Du wirst es noch sehen, wenn du deine Herausforderung gemeistert hast.« Damit wollten sie gerne Recht haben, was auch vollkommen in Ordnung ist. Doch als ich meine Herausforderung durchlebt hatte, stellte ich jedes Mal fest, dass ich ganz anders gehandelt hatte, als diese Menschen mir vorausgesagt hatten. Sie hatten nicht wirklich verstanden, was ich brauchte und wie genau meine Herausforderung aussah. Leider ist das in der Kommunikation zwischen uns Menschen oft so: Wir hören nicht alle Worte, die unser*e Gesprächspartner*in sagt, sondern warten lediglich auf bekannte Schlüsselworte (Schlüsselreize), die unsere Aufmerksamkeit erregen und Erinnerungen sowie Assoziationen wecken. Während wir das Gesagte nach diesen Reizworten durchsuchen, hängen wir unseren eigenen Gedanken nach oder denken schon mal nach, was wir antworten wollen, obwohl die andere Person noch nicht einmal fertig gesprochen hat.

Verstehen beginnt mit dem Zuhören und dem Hören jedes einzelnen Wortes. Dann kommen die Nachfragen, wie die andere Person empfindet und wie sie darüber denkt, was sie fühlt und welche Mittel ihr zur Verfügung stehen. Erst wenn du das Wie und Warum, das Womit und Wann verstehst, entsteht wirkliches Verständnis. Besonders vernachlässigen wir die Bemühung um echtes Verständnis bei Menschen, die wir gut zu kennen glauben. »Ich kenne dich besser, als du selbst, deswegen weiß ich, was gut für dich ist und was du brauchst«, ist einer der gefährlichsten Sätze, die mir in diesem Zusammenhang begegnet sind. Wer glaubt, andere wirklich gut zu kennen, berücksichtigt nicht, dass sich jedes Liebewesen immerzu verändert. Ein Wassertropfen trifft niemals denselben Fluss zweimal. Der Fluss ist beim zweiten Mal nicht mehr derselbe. Genauso ist es mit allem anderen auch. Einige Erlebnisse verändern Menschen in wenigen Stunden grundlegend. Manche Tage bringen eine neue, lebensveränderte Einsicht, die bereits seit langer Zeit unterbewusst bearbeitet wird. Das kann von jetzt auf gleich einen neuen Menschen aus mir oder dir machen. Und der Tropfen, der den Fluss dann trifft, findet ihn verändert vor, denkt aber, es sei derselbe Fluss wie beim letzten Mal. Der Tropfen ist nun jemand, der glaubt, dich zu kennen, und eben genau so handelt. Auch er handelt nach dem Motto gut gemeint.

Wirklich bewusst lebenden Menschen ist dies vollkommen klar und sie verstehen, dass sie in jeder Situation herausfinden dürfen, wie der andere fühlt, was er denkt und was er benötigt. Das hört sich anstrengend an, ist aber ganz einfach und geht nach einiger Übung in Gewohnheit über. Du wirst deine Mitliebewesen ganz neu kennenlernen.

Für mich gehören Verständnis haben und Nachsicht walten lassen immer schon zusammen. Nur wenn ich die Gründe des Handelns einer anderen Person wirklich verstehe, kann ich ihr genau diese Handlungen vergeben, sollten sie einmal negativ oder verletzend sein oder zu tief in meine Privatsphäre eindringen. Als ehemals guter Katholik habe ich gelernt, dass Nachsicht und Vergebung anderen gegenüber die ersten Pflichtübungen sind. Früher habe ich nicht begriffen, warum das so wichtig ist. Ich dachte, es wäre für andere wichtig, dass ich ihnen gegenüber nachsichtig war und ihnen die für mich negativen Handlungen vergab. Doch in Wirklichkeit sind beides ein Ausdruck meiner Liebe ihnen gegenüber. Außerdem sind sie ein wichtiger Schritt zur Heilung von Wunden, die diese Menschen mir zugefügt haben. Nun wissen wir ja, dass andere nur den Verstand oder den Körper verletzen können. Nichts desto trotz sind diese Verletzungen ganz real. Ob es verletzter Stolz, verletzte Gefühle oder verletzte Körperpartien sind, es fühlt sich immer schmerzhaft an. So lange du Groll, Hass oder Angst gegenüber dem Verursacher empfindest, ist es wie mit einer entzündeten Wunde, die immer weiter gärt und Eiter bildet. Nachsicht und Vergebung helfen hier nicht dem anderen, sondern dir selbst, diese Wunden zu reinigen, damit sie sich endlich schließen und vollständig heilen können. Du vergibst auch dir selbst, wenn du anderen vergibst, da ja an jeder Handlung immer zwei Personen beteiligt sind: Der Ausführende und der Annehmende. Im Alltag würde man sie Täter und Opfer nennen. Wobei wir die Rollen stetig wechseln und manchmal Ausführender und manchmal Annehmender sind.

Ich nutze dabei zur Erklärung gerne das Bild des Zusammenspiels von Paketbote und Empfänger. Der Paketbote überbringt dir ein Paket, stellt es dir vor die Füße und du entscheidest, ob du es annimmst oder stehen lässt. Es kommt darauf an, in welcher Beziehung du zu dem Absender des Pakets oder zu dessen Inhalt stehst. Was bedeuten dir Inhalt und Absender? Werden deine Gefühle und Gedanken angesprochen, reagierst du meist unbewusst und unüberlegt und nimmst das Paket einfach an. Du öffnest es und ziehst dir das enthaltene Paar Schuhe an. Bist du emotional und verstandesmäßig unberührt, lässt du es liegen oder schaust einfach nur mal nach, was das Paket enthält. dann lässt du den Inhalt an Ort und Stelle.

Bewusstsein hilft dir dabei, deine postwendende, verzögerungslose, automatische Reaktion einfach kurz auszusetzen.

In solchen Situationen nehme ich mir eine Sekunde Zeit. Ich trete innerlich zurück und verschaffe mir einen Überblick über die gesamte Situation. Zuerst nehme ich einfach alles wahr und lasse es so, wie es ist. Ich versuche, die Situation in ihrer Gänze zu verstehen. Bevor ich etwas unternehme oder auch nur fühle oder denke, nehme ich die Beziehung deswegen nicht mehr als so eng wahr. Ich bin nicht gezwungen, auf jeden Fall wie gewohnt reagieren zu müssen. Ich verschaffe mir durch diesen Bruchteil eines Moments die freie Wahl und kann handeln wie es mir entspricht. Ich bin frei von jeglichen Mustern und Überzeugungen, die ich in meinem Leben aufgesammelt habe.

Ohne das entsprechende Bewusstsein verfiel ich sofort in gewohnte Muster, die ich bereits hunderte Male auf ähnliche Situationen angewandt hatte.

Gerade in kritischen Situationen sind wir sehr nah dran. Deswegen können wir schneller verletzt werden. Dabei sollte dir immer bewusst sein, dass nicht nur der andere dich verletzt hat, sondern du dich hast verletzen lassen. Als Ausnahme sehe ich hier vom Annehmenden unkontrollierbare Gewalt an, die ihm oder ihr widerfahren ist. Hier nutzt das klarste Bewusstsein nichts. Gewalttätigen Menschen ist man in überraschenden Situationen einfach ausgeliefert. Hier sollte man den Ausführenden, also Gewalttäter besser sich selbst überlassen und Unterstützung bei professionellen Ansprechpartner*innen suchen. Gefährliche Gegenden sollte man einfach meiden, falls möglich. Gefährliche Situationen kann man oft im Vorfeld erkennen und umgehen.

Auch wenn du von dir nicht kontrollierbare Gewalttaten erlebt hast, hilft dir die Vergebung bei der Verarbeitung deiner Erlebnisse.

Wieder zurück zu täglichen Interaktionen. Nachsicht hilft dir dabei, Verletzungen auf psychischer (Verstand) und emotionaler (Gefühle) Ebene vorzubeugen. Du erkennst und verstehst die Umstände, aus denen heraus der Ausführende dich verletzen möchte und verzeihst ihm die Handlung, noch ehe sie Wunden verursachen kann. Je bewusster du mit solchen Begegnungen umgehst, je mehr du verstehst, desto schneller wird dir klar, warum das gerade geschieht. So kannst du wie oben beschrieben das Paket einfach liegen lassen. Dir ist klar, dass der Absender gerade nicht anders handeln kann.

Liebe ist nur etwas wert, wenn sie auch bei anderen ankommt.

Güte, Verständnis, Nachsicht und Fürsorge sind Werkzeuge dafür, dass du dich selbst und andere sich von dir geliebt fühlen. Respekt ergibt sich automatisch daraus.

Für mich hat Respekt immer etwas mit Abstand zu tun. Respekt zollen kann ich nur Menschen, die ich achte und von denen ich innerlich gefühlt immer einen oder zwei Meter entfernt stehe. Liebe beinhaltet für mich Respekt, löst jedoch den Abstand zueinander auf.

Güte bedeutet für mich, Gutes zu tun, wohlwollenden Umgang mit anderen oder mir selbst zu pflegen, Barmherzigkeit und Herzensgüte walten zu lassen, also immer davon auszugehen, dass jedes Liebewesen in jedem Moment sein Bestes gibt und so handelt, wie es ihm am besten erscheint.

Das kannst du an dir selbst schnell überprüfen. Egal, in welcher Situation du dich gerade befindest, also im Hier-und-Jetzt, prüfe dich selbst, ob und welche Gründe du für dein Handeln hast. Du wirst bemerken, dass du in jedweder Handlung dein Bestes gibst. Jeder von uns entscheidet sich – oft auch unbewusst – für Handlungsweisen, die uns am nächsten liegen und die durch immer wiederkehrende Gedanken und Gefühle motiviert sind. Diese Gedanken und Gefühle entsprechen ganz uns in der jeweiligen Situation. Würden wir eine bessere Möglichkeit der Handlung sehen oder kennen, würden wir entsprechend anders verfahren. Alle Handlungen folgen immer unseren Gedanken und Gefühlen. Sie sind der Ausdruck unseres inneren Gesprächs mit uns selbst.

Alle negativen und sogar zerstörerischen Handlungen werden immer mit der besten Absicht der Handelnden ausgeführt. Manchmal bezieht diese beste Absicht allerdings ausschließlich den Handelnden ein. Alle anderen haben das Nachsehen.

Güte betrifft auch deine Handlungen, sie hat immer etwas mit Geben zu tun. Gibst du den Menschen und Tieren um dich herum das, was sie benötigen? Gibst du dir, was du benötigst?

Woher sollst du eigentlich wissen, was das genau ist? Hier kommt das Verständnis ins Spiel. Lange Zeit habe ich Verständnis so gesehen, dass ich mich in die Lage einer anderen Person hinein versetze, indem ich denke: »Was würde ich an ihrer Stelle tun?« Damit projiziere ich jedoch meine Ansichten, Vorstellungen, Wahrnehmung und Bedürfnisse automatisch auf die andere Person. »Wie hätte ich an Stelle dieser Person gehandelt? Was wäre gut für mich an ihrer Stelle?«

Das ist der Ansatz: »Ich weiß, was für dich gut sein muss. Ich habe das auch schon durchgemacht.«

Dabei weißt du nicht, wie es für andere war, die ungefähr dasselbe erlebt haben, wie du. Du weißt, wie es für dich war und was du empfunden hast. Du weißt, was dich durch diese Zeit gebracht hat und was für dich funktioniert. Da andere Personen jedoch anders sind als du – schon rein genetisch gesehen – und auch in einem anderen Umfeld mit anderer Wahrnehmung, anderen Erlebnissen und anderen Bedürfnissen leben, ist dieser Ansatz nur gut gemeint. Gut gemeint ist allerdings niemals wirklich gutgetan. Die richtige Formulierung wäre meines Erachtens: »Ich habe das auch schon durchgemacht. Für mich hat es sich so angefühlt und dies und jenes hat für mich funktioniert. Wie fühlst du dich damit und was benötigst du? Wie kann ich dich unterstützen?«

Falls du etwas nicht erlebt hast und trotzdem unterstützen möchtest, könntest du fragen: »Ich weiß zwar nicht, wie das ist, aber könntest du mir vielleicht helfen zu verstehen, wie du dich fühlst und was du benötigst?«

Ich versuche wirklich zu verstehen, vor welchen Herausforderungen die andere Person steht und welche Mittel und Grenzen sie besitzt, mit ihnen umzugehen. Verständnis erwächst aus dem echten Verstehen der anderen und ist ein riesiger Teil des Bewusstseins.

Gerade in der esoterischen und mystischen Szene ist mir sehr oft begegnet, dass Menschen zu mir sagten: »Ja, an dem Punkt der Entwicklung war ich auch schon. Du wirst sehen, dass dies und das das Richtige für dich ist.« Ich gab ihnen zu verstehen, dass sie eben nicht ich sind und nicht am selben Punkt standen. Sie hatten nie meine Fähigkeiten, Bedürfnisse und meine Wahrnehmung. Sie haben aus meinen Beschreibungen lediglich Schlüsselwörter herausgehört und ihre Gedanken zu diesen Schlüsselwörtern gedacht. Wenn ich dann eine Beschreibung ihrer angeblich gleichen Situation bekam, stellte sich für mich schnell klar heraus, dass die Situation, die sie als gleich empfanden nicht im Geringsten so war, wie meine. Außerdem hatten sie für mich vollkommen unmögliche Handlungen zur Lösung der Herausforderungen durchgeführt. Kurz: Sie waren in ganz anderen Situationen und hatten ganz andere Voraussetzungen und Lösungen als ich. Wenn ich das dann äußerte war die Standardreaktion: »Du wirst es noch sehen, wenn du deine Herausforderung gemeistert hast.« Damit wollten sie gerne Recht haben, was auch vollkommen in Ordnung ist. Doch als ich meine Herausforderung durchlebt hatte, stellte ich jedes Mal fest, dass ich ganz anders gehandelt hatte, als diese Menschen mir vorausgesagt hatten. Sie hatten nicht wirklich verstanden, was ich brauchte und wie genau meine Herausforderung aussah. Leider ist das in der Kommunikation zwischen uns Menschen oft so: Wir hören nicht alle Worte, die unser*e Gesprächspartner*in sagt, sondern warten lediglich auf bekannte Schlüsselworte (Schlüsselreize), die unsere Aufmerksamkeit erregen und Erinnerungen sowie Assoziationen wecken. Während wir das Gesagte nach diesen Reizworten durchsuchen, hängen wir unseren eigenen Gedanken nach oder denken schon mal nach, was wir antworten wollen, obwohl die andere Person noch nicht einmal fertig gesprochen hat.

Verstehen beginnt mit dem Zuhören und dem Hören jedes einzelnen Wortes. Dann kommen die Nachfragen, wie die andere Person empfindet und wie sie darüber denkt, was sie fühlt und welche Mittel ihr zur Verfügung stehen. Erst wenn du das Wie und Warum, das Womit und Wann verstehst, entsteht wirkliches Verständnis. Besonders vernachlässigen wir die Bemühung um echtes Verständnis bei Menschen, die wir gut zu kennen glauben. »Ich kenne dich besser, als du selbst, deswegen weiß ich, was gut für dich ist und was du brauchst«, ist einer der gefährlichsten Sätze, die mir in diesem Zusammenhang begegnet sind. Wer glaubt, andere wirklich gut zu kennen, berücksichtigt nicht, dass sich jedes Liebewesen immerzu verändert. Ein Wassertropfen trifft niemals denselben Fluss zweimal. Der Fluss ist beim zweiten Mal nicht mehr derselbe. Genauso ist es mit allem anderen auch. Einige Erlebnisse verändern Menschen in wenigen Stunden grundlegend. Manche Tage bringen eine neue, lebensveränderte Einsicht, die bereits seit langer Zeit unterbewusst bearbeitet wird. Das kann von jetzt auf gleich einen neuen Menschen aus mir oder dir machen. Und der Tropfen, der den Fluss dann trifft, findet ihn verändert vor, denkt aber, es sei derselbe Fluss wie beim letzten Mal. Der Tropfen ist nun jemand, der glaubt, dich zu kennen, und eben genau so handelt. Auch er handelt nach dem Motto gut gemeint.

Wirklich bewusst lebenden Menschen ist dies vollkommen klar und sie verstehen, dass sie in jeder Situation herausfinden dürfen, wie der andere fühlt, was er denkt und was er benötigt. Das hört sich anstrengend an, ist aber ganz einfach und geht nach einiger Übung in Gewohnheit über. Du wirst deine Mitliebewesen ganz neu kennenlernen.

Für mich gehören Verständnis haben und Nachsicht walten lassen immer schon zusammen. Nur wenn ich die Gründe des Handelns einer anderen Person wirklich verstehe, kann ich ihr genau diese Handlungen vergeben, sollten sie einmal negativ oder verletzend sein oder zu tief in meine Privatsphäre eindringen. Als ehemals guter Katholik habe ich gelernt, dass Nachsicht und Vergebung anderen gegenüber die ersten Pflichtübungen sind. Früher habe ich nicht begriffen, warum das so wichtig ist. Ich dachte, es wäre für andere wichtig, dass ich ihnen gegenüber nachsichtig war und ihnen die für mich negativen Handlungen vergab. Doch in Wirklichkeit sind beides ein Ausdruck meiner Liebe ihnen gegenüber. Außerdem sind sie ein wichtiger Schritt zur Heilung von Wunden, die diese Menschen mir zugefügt haben. Nun wissen wir ja, dass andere nur den Verstand oder den Körper verletzen können. Nichts desto trotz sind diese Verletzungen ganz real. Ob es verletzter Stolz, verletzte Gefühle oder verletzte Körperpartien sind, es fühlt sich immer schmerzhaft an. So lange du Groll, Hass oder Angst gegenüber dem Verursacher empfindest, ist es wie mit einer entzündeten Wunde, die immer weiter gärt und Eiter bildet. Nachsicht und Vergebung helfen hier nicht dem anderen, sondern dir selbst, diese Wunden zu reinigen, damit sie sich endlich schließen und vollständig heilen können. Du vergibst auch dir selbst, wenn du anderen vergibst, da ja an jeder Handlung immer zwei Personen beteiligt sind: Der Ausführende und der Annehmende. Im Alltag würde man sie Täter und Opfer nennen. Wobei wir die Rollen stetig wechseln und manchmal Ausführender und manchmal Annehmender sind.

Ich nutze dabei zur Erklärung gerne das Bild des Zusammenspiels von Paketbote und Empfänger. Der Paketbote überbringt dir ein Paket, stellt es dir vor die Füße und du entscheidest, ob du es annimmst oder stehen lässt. Es kommt darauf an, in welcher Beziehung du zu dem Absender des Pakets oder zu dessen Inhalt stehst. Was bedeuten dir Inhalt und Absender? Werden deine Gefühle und Gedanken angesprochen, reagierst du meist unbewusst und unüberlegt und nimmst das Paket einfach an. Du öffnest es und ziehst dir das enthaltene Paar Schuhe an. Bist du emotional und verstandesmäßig unberührt, lässt du es liegen oder schaust einfach nur mal nach, was das Paket enthält. dann lässt du den Inhalt an Ort und Stelle.

Bewusstsein hilft dir dabei, deine postwendende, verzögerungslose, automatische Reaktion einfach kurz auszusetzen.

In solchen Situationen nehme ich mir eine Sekunde Zeit. Ich trete innerlich zurück und verschaffe mir einen Überblick über die gesamte Situation. Zuerst nehme ich einfach alles wahr und lasse es so, wie es ist. Ich versuche, die Situation in ihrer Gänze zu verstehen. Bevor ich etwas unternehme oder auch nur fühle oder denke, nehme ich die Beziehung deswegen nicht mehr als so eng wahr. Ich bin nicht gezwungen, auf jeden Fall wie gewohnt reagieren zu müssen. Ich verschaffe mir durch diesen Bruchteil eines Moments die freie Wahl und kann handeln wie es mir entspricht. Ich bin frei von jeglichen Mustern und Überzeugungen, die ich in meinem Leben aufgesammelt habe.

Ohne das entsprechende Bewusstsein verfiel ich sofort in gewohnte Muster, die ich bereits hunderte Male auf ähnliche Situationen angewandt hatte.

Gerade in kritischen Situationen sind wir sehr nah dran. Deswegen können wir schneller verletzt werden. Dabei sollte dir immer bewusst sein, dass nicht nur der andere dich verletzt hat, sondern du dich hast verletzen lassen. Als Ausnahme sehe ich hier vom Annehmenden unkontrollierbare Gewalt an, die ihm oder ihr widerfahren ist. Hier nutzt das klarste Bewusstsein nichts. Gewalttätigen Menschen ist man in überraschenden Situationen einfach ausgeliefert. Hier sollte man den Ausführenden, also Gewalttäter besser sich selbst überlassen und Unterstützung bei professionellen Ansprechpartner*innen suchen. Gefährliche Gegenden sollte man einfach meiden, falls möglich. Gefährliche Situationen kann man oft im Vorfeld erkennen und umgehen.

Auch wenn du von dir nicht kontrollierbare Gewalttaten erlebt hast, hilft dir die Vergebung bei der Verarbeitung deiner Erlebnisse.

Wieder zurück zu täglichen Interaktionen. Nachsicht hilft dir dabei, Verletzungen auf psychischer (Verstand) und emotionaler (Gefühle) Ebene vorzubeugen. Du erkennst und verstehst die Umstände, aus denen heraus der Ausführende dich verletzen möchte und verzeihst ihm die Handlung, noch ehe sie Wunden verursachen kann. Je bewusster du mit solchen Begegnungen umgehst, je mehr du verstehst, desto schneller wird dir klar, warum das gerade geschieht. So kannst du wie oben beschrieben das Paket einfach liegen lassen. Dir ist klar, dass der Absender gerade nicht anders handeln kann.